Eine Referenz an Frankie Knuckles, den verstorbenen ‚Godfather‘ des Chicago-House, hört man heute selten. Von Bianca und Sierra Casady, dem Schwestern-Paar CocoRosie, hätte man sie zuletzt erwartet, doch sie fällt im Songtext zu „Girl In Town“ auf dem neuen Album „Little Death Wishes“.

Natürlich spielen auch CocoRosie mit Elektronik und Stimme, wie es House grundsätzlich ebenso tat. Gerade auf dem aktuellen Werk setzen die beiden dabei mehr denn je auf Hyper-Pop-Unschärfen, sie behalten jedoch ihr generelles Vorgehen aus Samples, dem Klang von Alltags-Gegenständen und schrill überzeichneten Gesängen bei.

Es ist die achte Platte der Amerikanerinnen, die heute vor allem in Europa aktiv sind. In Skandinavien, Österreich, Deutschland und Frankreich arbeiteten sie in den letzten Jahren jenseits ihrer Alben auch an Theater-Projekten.

Das Geschehen in ihrer Heimat kommentierten sie im Januar 2017 noch Trump-kritisch mit „Smoke ‚Em Out“, als der Präsident seine erste Amtszeit antrat. Der neue Longplayer spart sich solche direkten Hinweise, behält aber das feministische Weltbild bei, das CocoRosie stets auszeichnete – jedoch dringt das auch dieses Mal nur zwischen den Zeilen durch, die weitgehend Sierra getextet hat.

Dadurch überwiegt die Spielerei nunmehr gegenüber den konkreteren Botschaften Biancas auf den vorherigen Scheiben. Eines wird aber mehr als deutlich: Hohe Kontostände und die Institution Ehe finden CocoRosie völlig überbewertet. Es liegt auf der Hand, dass die Stücke sich keinesfalls an die Fans von Hubert Aiwanger und Philipp Amthor richten – dazu stellen die Casadys zu vieles an geordneten Bausparvertrags-Lebensentwürfen infrage.

In „No Need For Money“ lernen wir, dass Geld im Grab nichts nütze, „Nothing But Garbage“ persifliert die vermeintliche Romantik von Hochzeitsglocken und reimt „garbage“ schonungslos auf „marriage“.

Vieles sind Assoziationen und Impressionen, ist Trash versetzt mit Witz. „Slutty bitches, broken dishes, little death wishes“, so etwas erzählt eine Geschichte wie ein Comic mit Bildfolgen und überlässt der Fantasie der zuhörenden Personen noch viel geistige Arbeit. Aber es wirkt klanglich prägnant.

Dass Pop plakativ und lustig sein darf, machten schon in den 1960ern Bands der sogenannten Bubblegum-Novelty-Welle vor, zum Beispiel The Pipkins. Davon findet sich Etliches auch in „Little Death Wishes“ wieder.

Gleichzeitig legen CocoRosie Wert auf harmoniedurchflutete Synth-Orgien, das Zusammenfügen von Wort und Beats geschieht dagegen oft jenseits von Konventionen – zum Beispiel, wenn die Plosivlaute ‚p‘ und ‚k‘ in „Pushing Daisies“ als Dopplung der Percussion erklingen, die karikatur-artig übertriebene gesungene Sehnsucht in „Wait For Me“ zu den eher kühl-maschinellen Beats und nüchternen Loops im Kontrast steht, oder wenn in „Paper Boat“ die Stimme mit jeder Lippenbewegung einen Stromstoß abzusondern scheint.

Im ständigen Pendeln zwischen Sprechgesang und karaoke-haftem Geträller mag es überraschen, dass CocoRosie als Bezugspunkt der Platte alten Soul angeben. In der Tat landen sie in ihren Schnalz-Beat-Kaskaden oft näher an Hip-Hop-Ästhetik, bewahren sich aber in Abgrenzung davon etwas Avantgardistisches fern von Formelhaftigkeit.

Dass diese Alleinstellungsmerkmale für Labels schwierig einzuordnen sind, dürfte ein Hauptgrund für die lange Reise zwischen Plattenfirmen sein. Angefangen mit Touch And Go, wechselten die Casadys über Sub Pop und City Slang zu Marathon, versuchten sich am eigenständigen Veröffentlichen auf ihrem eigenen Label, um nun bei Joyful Noise einen neuen Zwischen-Stopp einzulegen. Gefunden haben sie sich in dieser geschäftlichen Hinsicht wohl noch nicht.

Stilistisch wirken sie derweil sehr sortiert, denn „Little Death Wishes“ ist eine quirlige Platte ohne einen einzigen lahmen Moment, ohne einen Ton zu viel oder zu wenig. Sie ist ausgesprochen druckvoller, treibender Power-Pop.

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