Berlin Kreuzberg ist anders. Ein Schmelztiegel, in dem sich Acht Eimer Hühnerherzen fanden, um ihre Nylonsaiten auf den Punk zu spannen. Sängerin Apocalypse Vega, Bassist Jonny Bottrop (Ex-Terrorgruppe) und Schlagzeuger Bene Diktator veröffentlichen mit „Lieder“ ihr viertes Album.
Minimalistische Titelgebung, die nach dem selbstbetitelten Debütalbum von 2018, „album“ (2020) und „musik“ (2022) aber auch nicht weiter verwundert. Ja, Acht Eimer Hühnerherzen nehmen sich selbst nicht ganz ernst, ein wenig Dadaismus schwingt immer mit und man muss auch zwischen den Zeilen hören können.
Doch gerade das führt bei „Lieder“ dazu, dass man erkennt, dass auch in Berlin Kreuzberg nicht mehr alles fein ist. Da werden die persönlichen Geschichten aus „Ostkreuz“ zu privaten Dramen und „Aktuell“ sorgt mit „Windstößen bis zu 30km/h“ und Halleffekten für eine merkliche Abkühlung auf dem heiter ausgelegten Album.
Der Einstieg hingegen ist gewohnt launig mit den schnarrenden Folkpunksaiten von „Konny“, dem Bass-Drum-Duett bei „Klaus“ und dem temporeich Melodien verfeuernden „Dada“, das sich dem erfolgreichen Rezept der Vorgängeralben am besten bedient und Vegas Sprechgesang zum Duett-Refrain anwachsen lässt, der sich auch Stunden später noch bebend auf unseren Lippen wiederfindet.
Quasselnd selbstreflektierend bringt „Jetzt nicht“ den Selbstoptimierungswahn auf den Punkt, man sollte wieder mehr Zeit verschwenden, ohne es zu bereuen.
So wie die zweieinhalb Minuten beim Hören des Songs etwa, auf den „In Italien Warst Du Schöner“ folgt. Einem herrlich melodischen, geklampften Titel, auf den Apocalypse Vega die guten Vorsätze abquittiert, die uns so oft verfolgen.
Man muss auch mal die guten Seiten des Lebens sehen, wenn „Durchlauferhitzer“, dem täglichen Wahnsinn mit Kloß im Hals begegnet und alles nicht so schlimm findet, denn man ist ja „immerhin keine Anwältin von einem Nazi aus Templin“.
Bei „Bescheid“ ist es dann aber auch vorbei mit dem Optimismus, die schlechte Laune zieht ein und kloppt sich mit markantem Bass durch Vegas Schimpftirade.
Vielleicht liegt’s am fehlenden Schlaf, der „Nicht Schlafen“ den Titel leiht. Die Königin der Nacht wälzt sich – Schäfchen zählend – durch die Nacht, erkennt zu Handclaps aber doch, wieviel Zeit man mit fehlendem Schlaf gewinnt, um zum Beispiel neue Songs zu kreieren. Fatal, aber hörbar.
„Kann Es Sein, Daß Ich Mich Irr?“ krakelt sich zweistimmig durch die Unsicherheiten des Lebens, lässt dem Bass freien Lauf und findet sich im dynamischen „Alles Gut“ wieder, das sich phrasenschleudernd durch gesellschaftliche Oberflächlichkeiten kämpft und letztendlich daran verzweifelt.
Eine „Ode“ an die Frauen folgt, bevor „Nackt Am Rand“ das Album beschließt, einem sympathisch rumpelnden Punkstreuner, den Vega zur Beobachtung der Eigenheiten seiner Mitmenschen nutzt.
Berlin Kreuzberg ist anders. Und das ist auch gut so. Acht Eimer Hühnerherzen hat der Schwermut ein wenig eingeholt, doch den Liedern auf „Lieder“ bleibt noch genug Dadaismus, um auch weiterhin der Soundtrack unseres Lebens zu sein.
Vorausgesetzt, man hat ein Leben, dem gerade etwas (Er)Leben fehlt.