Popsongs werden immer kürzer. In Zeiten von knappen Aufmerksamkeitsspannen und fragwürdigen Abrechnungsmodellen auf Streaming-Plattformen schien dieser Trend unaufhaltbar. Sam Fender beweist auf seinem neuen Album „People Watching“, dass es auch anders geht.

Gleich mit dem titelgebenden Opener setzt der 30-jährige Brite neue Maßstäbe. Auf über fünf Minuten Spieldauer wird uns hier alles geboten, was eine Hitsingle braucht: ein markantes Riff, ein drängender Rhythmus und eine starke Stimme.

Dass trotz vermeintlicher Überlänge keinerlei Langeweile aufkommt, hat auch mit dem Text von „People Watching“ zu tun, der sich – ebenso entgegen dem Trend der Simplifizierung – auf vielschichtige Weise mit einer von Verlusten geprägten Gesellschaft beschäftigt.

Bezugnehmend auf Sterben und Tod seiner ‚Ersatzmutter‘ Annie Orwin betrachtet Fender die vielfältigen Erscheinungen von Zerfall und Erosion. Dabei nimmt er auf konkreter Ebene das Gesundheitssystem, auf abstrakter Ebene das Ende des Fortschrittsnarrativs in den Blick.

Dass Fender all dies gelingt, ohne ins Pathos zu verfallen, ist beeindruckend. Dabei geholfen hat sicher auch Adam Granduciel von The War On Drugs, Schöpfer vielspuriger, traurig-schöner Werke, der bei der Produktion des neuen Albums maßgeblich mitwirkte.

Diesem Geiste folgend kommen Fenders neue Songs sanft gebettet auf einem Teppich aus Wohlklang daher. Ging es auf dem Vorgängerwerk „Seventeen Going Under“ noch deutlich rockiger zu, beweist Fender jetzt, dass seine Botschaften auch stimmenschonender ankommen.

Dass Sam Fender auch hierin Gemeinsamkeiten mit seinem Idol Bruce Springsteen hat, mit dem er von Fans und Kritik regelmäßig verglichen wird, zeigt das so eindrückliche wie zurückhaltende „Crumbling Empire“, das an Springsteens Hit „I’m On Fire“ erinnert.

Trotz des besungenen Niedergangs zeichnet das dritte Studioalbum eine neue Gelassenheit aus. Deren spielerisch-musikalische Ebene kommt in „Arm’s Length“ zur Geltung. Der Song ist das Ergebnis einer lockeren Jam-Session.

Mit selbiger Gelassenheit betritt der im Nordosten Englands geborene Künstler aber auch neue Pfade. Hier ist das opulent instrumentierte „TV Dinner“ zu nennen, in dem sich Fender sprechsingend einer musikalischen Eskalation hingibt.

Mit dem neuen Album unterstreicht Sam Fender seine Ambitionen, gleichermaßen zeitlose wie zeitgemäße Rockmusik zu machen. Mit „People Watching“ erreicht er dabei einen neuen Reifegrad.

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