Wer noch nie bei einem Poetry-Slam war, muss jetzt dafür gar nicht mehr das Haus verlassen. „Like A Ribbon“ von John Glacier hört sich so an, als ob mehrere Personen aus dem Bereich der Wortakrobatik nacheinander ihren kreativen Überschuss aufführen würden.
Aus Worten mit Londoner Akzent werden Performances, denen sich am Rande noch ein bisschen Musik unterordnet – Fetzen von Drum-and-Bass, Effekte, Schrabb-Geräusche, Rückwärts-Spulen und Zersplittern verbaler Laute knallen und scheppern durcheinander.
Und doch wirkt alles auf diesem Debütalbum, trotz Glitch-Einsprengseln, ausgesprochen geordnet. Würde John Glacier malen oder einen Film drehen, würde wohl vieles in einem Tunnel spielen.
Ein so verwaschenes Klang-Umfeld wie in „Emotions“ hat den Charakter einer Echokammer. Das Gewusel um den Vortrag herum, der sich auf halber Strecke zwischen Spoken-Word-Gesang und Rappen abspielt, soll wohl absichtlich nur ein paar einzelne Schlagwörter verständlich durchdringen lassen und rundherum ein Ton-Experiment sein.
Es schöpft in seinen exzentrischsten Momenten in „Nevasure“ (an der Seite von DJ Flume) aus weltoffenen, Londoner Club-Kultur-Sounds der ganz späten 1980er, frühen 1990er Jahre – man denke an die Ursprünge des WARP-Labels – aber in gleichem Maße auch aus Grime-Stimmungen.
In „Steady As I Am“ rollen schwere Trip-Hop-Bässe über die Hörer*innen. Das schwelgerische „Found“ zitiert die mitunter hymnischen Broken Beats von Nightmares On Wax, „Home“ mischt kratzige Dub-Sphären unter die rap-artigen Sprach-Kaskaden.
Wer aufgrund der EP „SHILOH: Lost For Words“ (im Sommer 2021) kühles, schickes R&B-Songwriting erwartet hätte, wird von der Hip-Hop-Dominanz auf „Like A Ribbon“ womöglich verwirrt.
Textlich handelt das Album in bester Dicke-Hose-Rapper-Manier sogar vom eigenen Stellenwert. „Now they′re calling me a bitch, you best believe it / I′m as cold as the ice when I don’t feel it / (…) playing through the stereos (…) know you like it, Glacier look so deadly / this is my space…“
Glaciers Gender-Identität als modelnde Frau namens John mit androgyner Stimme und smarter Coolness bereichert auf jeden Fall die Diversität im Hip-Hop, wenn man sie denn zum Genre rechnen möchte.
Genau darum geht es: Die End-Zwanzigerin setzt eine Alternative zum oft allzu bemüht wirkenden trap-verseuchten Spiel des ‚Reim dich, oder ich fress dich‘, bei der ihre Worte scheinbar mühelos wie in einem literarischen Stream of Consciousness aus ihr heraus purzeln.
Dass Loops schrammeliger Gitarren unverbunden neben klirrenden Tischtennis-Ping-Pong-Beats und fetten Basslines stehen und alles so seinen Platz hat, zeichnet „Like A Ribbon“ in Sachen Klang-Design aus.
Nachdem ein Feature mit Sampha kurzzeitig mit einem großen Zeh auf die Tanzfläche führt, sich zu einem echten Dance-Hit aber doch nicht ganz entschließen mag, frappiert „Heaven’s Sent“ am Ende.
Mit krächzender Raspel-Stimme und Schnipseln eines Dialogs in Anrufbeantworter-Qualität ergießt sich viel Sprache mit wenig Betonung in bestem britischen Understatement über ein sanftes Musikbett. In gewisser Weise ist John Glacier die stilistische Weiterentwicklung von Greentea Peng mit den Mitteln des noch Geheimnisvolleren.
Was von „Like A Ribbon“ haften bleibt, sind das Experimentelle des Albums und die frostig-kühlen Klangwelten, die auf warme Harmonien prallen.
Trotzdem, so schön das alles ist, stellen sich die Fragen: Was kommt danach? Was sollte das Ganze jetzt? Wie wird ein zweites Album das irgendwann toppen? Wird man sich Ende des Jahres noch daran erinnern?
Doch mit Logik lässt sich die freigeistige Magie John Glaciers nicht fangen. Man kann sie genießen oder ignorieren, aber wohl kaum analytisch erklären.