Wo die in München aufgewachsene Rapperin Ebow bei der Bundestagswahl gewiss kein Kreuz setzen wird, geht aus ihrem fünften Solo-Album klar hervor. „FC Chaya“, nunmehr vervollständigt als „Glitzer Edition“, ist ein Konzept-Werk aus dem Blickwinkel einer queeren Frau.
Der ursprünglich letzte Track „Free“ geht noch weiter. Er bezieht ganz klar Position für eine Gesellschaft ohne Rassismus, ohne jegliche Form der Ausgrenzung, Diskriminierung oder Diffamierung, ganz gleich ob es nun um ethnische Herkunft, Religion oder Gender und sexuelle Orientierung geht.
Auch der neue Bonus-Track „Müde“ rollt das Lebensgefühl des Großstadt-Kindes mit kurdisch-alevitischen Wurzeln auf. „Ich trag die Müdigkeit einer ganzen Generation, bin müde von Gastarbeiter-Stories“, flötet Ebow mit ihrem geschliffenen Zungenschlag. Bürgerlich heißt sie Ebru Düzgün, ihre Großeltern kamen aus der Türkei.
Ihre Art zu spitten, ist vermischt mit Schauspiel. Ebows Betonungen schiebt sie gerne im Satz so, als fielen die gerappten Äußerungen in einem Dialog in einer Fernsehserie oder auf einer Theaterbühne. Zwischen Singen und Rappen switcht sie bruchlos.
Dieses Lebendige in der Modulation lässt manche Generalabrechnung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und den ungeschriebenen Szene-Regeln in der Hip-Hop-Subkultur noch wirkungsvoller erklingen, wie zum Beispiel in besagtem „Müde“ der Fall.
„Kein Bock auf die Clubs, Leute die mich stressen / Fake-Ass Friends, Bitches, die mich testen“, wird Ebow auch in Bezug aufs Private deutlich und explizit.
Lesbische Partnerinnensuche ist genauso wenig ein Zuckerschlecken wie für alle anderen. Denn „Toxisch“ geht es überall zu, entsprechend heißt so der neue Zusatz-Track der Glitzer-Edition.
Unterlegt von Metronom-Ticken, doziert die 35-Jährige auch über Gleichaltrige, die ein Problem mit dem Übernehmen von Verantwortung haben. „Ich flex doch nur, damit du siehst, dass es mich gibt“, erläutert sie in „Gott Weiß“ auf Spratz- und Schepper-Beats. Die Thematik in Verbindung mit den Jugendwörtern „flexen“ (angeben) und „Chaya“ ist hier ganz typisch. „Chaya“ steht für eine schöne (bzw. manchmal: arrogante) junge Frau.
Beziehungsprobleme, wie sie eher den 17- bis 19-Jährigen zu Eigen sind, deren Sprache hier übernommen wird, verlagern sich in ein Alter jenseits der 30, in dem man früher bereits die eigenen Kinder eingeschult hat. Statt um Lebensplanung geht es hingegen immer um den Moment, wobei Ebow insbesondere aufs Lebensgefühl in Berlin abzielt, wo sie heute lebt.
„Meine Hand an deinen Hüften, die Jeans sitzt so tief / dein Herz, tut mir leid hat sich verliebt in Berlin / die Hunde dieser Stadt verlieren nicht beim spielen / das ist nicht der Platz für Familien Dreams.“. Hier in ‚Bodies“ mischt Ebow ihre poesievolle Ausdrucksweise mit einer Hymne auf Diversität:
„Hier sind nur Bodies in allen Formen und Farben / Shortys mit kurzen und langen Haaren / tanzen auf den Takt wie Trance.“ Zwischen Spaß und Selbstverortung tritt Ebow darin einen Trip durch die Nachtclubs an. „Shorty, ich nehm keine Drogen / nimm, was du willst, solang es unseren Vibe hier nicht killt.“
„Spaß“ ist ganz unironisch eines der Schlüsselwörter, das wiederholt auf der Platte fällt, etwa im Bhangra-Pop „Do Ya?“.
Klirrend kalte Beats wechseln auf dem Album mit warmen Soul-Grooves, die sich an Stevie Wonder anlehnen. Brumm-Bass mit sphärischen Dancefloor-Klängen wechselt mit R&B-Balladen.
Produzent Walter p99 arke$tra arbeitete schon mit Ebow im Trio Gaddafi Gals und ist ein undogmatischer Beatmaker mit Kenntnissen im 1990er-Underground-Boom Bap, im New-School-Hip-Hop des Minimalismus und auch im Trap. Je ein Track kommt von den Produzentinnen Sirin (Sirin Kilinc) und Luci (Luciana) Gramacho – wichtig für Ebow, die sich sehr gerne für Frauen einsetzt.
Der Clou von „FC Chaya (Glitzer Edition)“ liegt in der Balance aus einerseits melodramatischen, ernsten Momenten mit entsprechend musikalisch mehr Verwurzelung im Soul und andererseits Alltags-Beobachtungen aus unserer Zeit, die eher mit Pop-Rap einher gehen, wie er im Trend liegt.
Dieses Album rammt Revier-Grenzen ein und widmet sich dem Leben lesbischer Menschen. Einerseits nähert es sich dem Thema von der traurig-tiefgehenden Seite und nimmt dafür in „Ebru’s Story“ Schock-Momente in Kauf: „Betete zu Gott, er soll mich heilen / saß mit 7 im Bad, bereit, um mir die Adern aufzuschneiden“.
Andererseits kommt Ebow in zum Beispiel „Lesbisch“ auch von der lockeren Seite: „Yeah, dein Boyfriend ist hässlich / sag Bescheid, wenn du weg willst (…) wenn er dein Ex ist“, „selbst wenn sie bi ist, super femme und sweet ist / kenn die sweetesten Babes, sweetesten Gays“, „ich zeig dir Queer-Bars und Queer-Stars“.
Aber auch hier ist enthalten, dass soziale Normen oft stärker sind als der Mut, dem eigenen Bauchgefühl zu folgen. Eingerahmt ins gesellschaftspolitische große Ganze bekommt diese Gender-Studie aus der Mikro-Ebene somit dann noch eine Verbindung zu einer Makro-Ebene.
Dieser Brückenschlag macht das Album umso relevanter. Dann analysiert Ebow zum Beispiel in „Free“ messerscharf und bereitet der Politik dabei kein Kompliment: „Meine palästinensischen Freunde sind alle am Ende / meine jüdischen Freunde, sie trauern mit Ängsten / meine kurdischen Freunde sind dauernd am Kämpfen / meine schwarzen Freunde suchen immer noch Verständnis / alle anderen Freunde sind irgendwo dazwischen.“
Der intensive, melancholische Schluss-Track „Wunden“ der neuen „Glitzer Edition“ rundet es zu einer Bestätigung dessen ab, dass Ebow eine der wichtigsten Underground-Rap-Aktiven des deutschen Sprachraums ist und bleibt.