„Lost Souls“ hieß das programmatische Debütalbum der Doves aus Manchester im Jahr 2000. Der Album-Titel „Constellations For The Lonely“ scheint wie eine Fortsetzung nach so langer Zeit.

Die Doves vertonten immer gern die Einsamkeit, das Verlorensein und die introvertierte Abkapselung. Sie fingen einst dort an, wo The Verve aus dem Umland der Metropole 1999 aufhörten. In „Cold Dreaming“, dem zweiten Song des neuen Albums, blinkt der The-Verve-Ansatz mit eleganten Geigen-Arrangements wieder auf und es brilliert als majestätische Brit-Pop-Perle.

Kaltes Träumen? Der Schlaf hält viele Geheimnisse bereit, zum Beispiel die Parasomnie-Phänomene: Reden im Schlaf, Schlafwandeln oder in dessen Gegenteil Paralyse, außerdem Träume, Albträume und Halluzinationen. Über vieles davon wurden schon Lieder oder Alben gemacht. Aber über kalte Träume, da halten sich die Datenbanken bedeckt (lediglich eine Deutsch-Rap-Nummer mit dem Titel „Cold Dreams“ kommt einem da unter, in der allerdings aufs Thema nicht weiter eingegangen wird).

Dem Album merkt man enorme Spiel- und Experimentierfreude an. Berauschende Melodien lassen sich von schroffen Post-Punk-Gitarren-Riffs kaum beiseite schrammeln. Die Wall-of-Sound-Experten Doves lieben es, Kontrastreiches zu kombinieren, beispielsweise New-Wave-Drums mit Falsett-Gesang.

Frontmann Jimi Goodwin und die Zwillinge Andy und Jez Williams haben sich fünf Jahre Zeit gelassen, „Constellations For The Lonely“ ist dafür ein sehr reifes Werk geworden. Irgendwo zwischen der Geradlinigkeit der Stone Roses und der Harmonieseligkeit von Ocean Colour Scene etablieren Doves ihre süße und sample-verliebte glasklare Klang-Ästhetik.

Das Schnörkelhafte, wie es zum Beispiel bei „A Drop In The Ocean“ und „In The Butterfly House“ vom Rock weg führt, teilen sich die Doves mit Mercury Rev. Dabei öffnet sich das Trio auch Drum-and-Bass-Elementen. Schon ihr vorheriges Album „The Universal Want“ von 2020 überraschte mit solchen Effekten, Trip-Hop-Referenzen, Northern Soul und übrigens einem Schlagzeug-Sample von Tony Allen.

Aktuell möchte die Gruppe ihren musikalischen Fingerabdruck politisch-visionär einsetzen: Im Land des Brexit auf dem Planeten des Klimawandels urteilt Schlagzeuger Andy, sie „wollten ein dystopisches Gefühl erzeugen, indem wir über Manchester selbst im nächsten Jahrhundert oder so nachdachten. Eine völlig imaginäre Sache…“

Den Klangtüftlern mit dem Hang zum Verträumten geht es um einen filmischen Alptraum, den sie in Töne gießen. Dafür tragen die Doves dick auf – intensive Lärm-Strudel treiben um Jimis Näsel-Stimme herum, die zwar von Reizen überflutet wirkt, aber doch auch nahbar und vertraut.

Das Unterfangen ist den Engländern auf der ‚A-Seite‘ der Platte exzellent gelungen. Dann lässt die Magnet-Kraft der Stücke jedoch nach. Einiges hört sich verworren an, zwei Tracks wirken schlecht abgemischt.

Mit „Orlando“ glückt jedoch auch gegen Ende ein Meisterwerk. Sänger Goodwin klingt analog aufgenommen und tontechnisch wie in einem Film der 1950er Jahre. Auf bizarre Weise schneiden ihm gleißende Laute das Wort ab, die wie Feuerwerkskörper wirken. Unter deren Wucht lässt sich unbeirrt ein altes E-Piano vernehmen.

Das Ungefähre des Tracks fasziniert, weil den Musikern hier Taktgefühl und genormte Lied-Strukturen nachrangig sind und weil trotz oder wegen des Schiefen etwas sehr Schönes entsteht.

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