Als Hybrid aus Disco-Electro und Classic-Rock mit Glam-Spuren zielte die 1982 gegründete Band Primal Scream schon Ende der Achtziger auf Hörgewohnheiten der ’90er. Der Einstieg ins bunte Jahrzehnt des anything goes bescherte den Schotten 1991 ihren Höhepunkt mit „Screamadelica“.

Heute lässt sich das Album sogar als Klassiker betrachten. Die Wortendung „-delica“ spielt auf die psychedelischen Vorlieben der Band an. Ein bisschen davon kann man auch aktuell wahrnehmen.

Von der „Screamadelica“-Besetzung sind indes auf dem aktuellen Longplayer „Come Ahead“ nur mehr Sänger und Scream-Gründer Bobby Gillespie und Gitarrist Andrew Innes zugegen. Denn Keyboarder Martin Duffy kam vor zwei Jahren bei einem Unfall in seinem Haus ums Leben. Zudem starb der Bassist vor zehn Jahren, vermutlich an einer Intoxikation mit Alkohol und mehr. Die Band hatte schon in ihren Anfangsjahren Probleme mit Substanzen.

Umso persönlicher wirkt daher nun ein Songtitel wie „Heal Yourself“. Die fluffige Ballade mit hymnischem Refrain knüpft an Songwriting-Muster von Neil Finn an. „Heal Yourself“ behandelt das alte Motiv ‚Selbstliebe als Grundlage um andere zu lieben‘ und steht somit sehr im Trend der derzeitigen Flut an Mental-Health-Songs auf dem Musikmarkt.

Primal Scream klatschen trotz solch sensibler Themen recht großzügig Stampf-Beats und Automat-Geigen auf ihre neuen Tracks. In diesem Fall, bei „Heal Yourself“, passt diese Gestaltung ganz gut. Doch auf Album-Länge betrachtet, wäre weniger davon definitiv mehr.

Beim dancefloor-orientierten „Innocent Money“ hören sich die Streicher wie der Pflicht-Baustein allzu vieler Disco-Produktionen der mittleren Siebziger an. Der treibende Track mischt aber auch den geheimnisvollen Charme der damaligen Blaxploitation-Soundtracks im Stil von Isaac Hayes und Curtis Mayfield mit Sprechgesang. Wah-Wah-Bass, fette Reverbs, funky Background-Gesang sind effektvolle Zutaten in einer spannenden Dramaturgie.

Teils lässt sich Bobby in diesem bemerkenswerten Lied in den Hintergrund mischen. Die namenlosen, aber hörenswerten Background-Sängerinnen rücken in die erste Reihe. Eine von ihnen wechselt dann aus dem Singen ins Sprechen, schwingt eine flammende Rede über das interessante Phänomen kognitiver Dissonanz. Groove Armada und Cinematic Orchestra klingen stilistisch an.

Der tanzfreudige Charakter und die Längen der Stücke machen einiges bei der Platte aus. Um Disco-Erlebnisse im Stile alter 12″ Maxi-Versionen zu ermöglichen, nehmen Gillespie und seine Mitstreiter sich in jedem Track viel Zeit: So kommt das Album schon mit 11 Songs auf eine Spieldauer von über 65 Minuten.

Die Urschrei-Combo greift damit zwar ihre alte Tradition auf, lullt aber oft ein. In etlichen Fällen sparen sich die Glasgower für die Strophen eine durchkomponierte Melodie und ziehen es vor, eine rhythmisch angeheizte Dschungel-Atmosphäre mit gesprochenem Wort zu bereichern. „The Centre Cannot Hold“ oder „Circus Of Life“ sind solche Spoken Word-Nummern.

Viele Momente auf der Platte wirken wie Zitat-Spielereien aus der Promi-Liga der Primal Scream-Anfangsjahre (Talking Heads, Simple Minds, The Waterboys, INXS, Bob Geldof, Wire). Damit verbunden ist Beliebigkeit. Von jedem zweiten Song bleibt (mir) nach mehrmaligem Hören nichts haften.

„Melancholy Man“ sticht noch heraus, spielt mit Film Noir-Ästhetik, erinnert ein bisschen an den düsteren Chanson-New Wave Benjamin Biolays und überrascht mit dem Synth-Loop eines Gitarren-Solos im Progressive Rock-Stil. In Genres denken Primal Scream also auch weiterhin nicht.

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