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070 Shake – Petrichor

Stellen wir uns vor, ein Altar mit Kanzel, Orgel und Kirchenbänken stünde in einer Fabrikhalle, unterhalb der Kanzel würde auf der einen Seite ein Streicher-Quartett spielen, auf der anderen tanzten Fans von Bassmusik. Die Predigt hält Danielle Balbuena, ihr Thema zwischen Club, Klassik und Lärm lautet „Petrichor“.

Der Beruf von Danielle ist Rapperin. Millionen Menschen in Deutschland kennen sie unter dem Künstlernamen 070 Shake, gelesen bei Raye in einem der größten Hits 2022: „Escapism“. In den USA polarisierte die Partnerin von Johnny Depps Tochter Lily-Rose seither als Support-Act für Coldplay.

„070“ geht übrigens auf die Postleitzahl ihrer Heimatstadt North Bergen zurück, „Shake“ nannte man die Schwarzgelockte in der Schule beim Basketball-Spielen. Kanye West, heute Ye und bekannt als prominenter Antisemit mit unbeholfen gezeigter Reue, ließ die Soundcloud-Newcomerin 070 Shake einst zu seinem Label holen.

Die heutige Predigt „Petrichor“, unterlegt mit ordentlich Orgel, handelt von Sehnsucht nach maximaler Liebe, von Verlangen, immer wieder mal, in der ein oder anderen Zeile, und von Sünde („Sin“) gleich zu Anfang. Der Rest ist nicht so genau auszumachen.

Denn die Texte sind kryptisch, teils zusammenhanglos, assoziativ, manchmal dystopisch, so in „What’s Wrong With Me“: „Scare is hauting me (…) feel like virus in my body, somebody became a host in me“, skizziert 070 Shake, von Furcht erfüllt, einen Eindringling in ihrem Körper. Eindringlich gestaltet die US-Eastcoast-Künstlerin auch ihr Wortgewitter.

Die 27-Jährige klingt dabei extrem nah. Um ihre Stimme herum steigt gleichwohl der Geräuschpegel oft dramatisch. Explosionsartige und brodelnde Noise-Attacken vernebeln den Gesang bis zur Unkenntlichkeit. An Santigolds letzte Platte „Spirituals“ lässt sich daher ab und an denken.

Auch 070 Shake rüttelt an Genre-Grenzen, sogar zwischen repetitiven Elektronik-Spielarten und verstörender Avantgarde. In etliche Tracks baut sie Brüche ein, etwa in „Blood In Your Hands“. So passen das Schütteln im Pseudonym und die Zahlen-Chiffre, die an Geheimagent 007 erinnert, gut zu dem, was man hört.

Die alternative Poetin schüttelt gleichsam ihre Ideen durcheinander, bis sie sich zu einem Brei vermischen. Dann betreibt sie das doppelte Spiel einer Geheimagentin, agiert mal als Sängerin, mal als Rapperin. In beiden Registern springt sie jeweils zwischen Harmonie und Ansätzen der Dissonanz.

„Petrichor“ ist 070 Shakes drittes Album – und es ist ein herausragendes. Es setzt jede Menge Impulse, um Hip-Hop spannend zu machen. Das Ergebnis wirkt zwar auffällig offen und nicht rund, aber durch seinen skizzenhaften Charakter weckt es Interesse, das Ganze in Dauerschleife zu hören.

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