„Music is really my lifeline“, doziert MC Lyte aus New York in „Music Is“, einem Track auf ihrem neuen Album „1 Of 1“, ihrem ersten seit neun Jahren. An die raue Stimme dieser fantastisch wortgewaltigen Künstlerin mit den perfekten Reimen erinnern sich Musik-Fans über 30, egal, ob sie Hip-Hop sonst verfolgen.
Denn die Hits „Keep On Keepin‘ On“ und „Cold Rock A Party“ trugen 1996 zur Etablierung von Rap-Kultur im deutschen Mainstream genauso bei wie zeitgleich die Fugees, Coolio, Nonchalant, Nas und Xzibit.
Man nennt MC Lyte eine Golden-Era-Künstlerin, das heißt, Boom Bap-Liebhaber assoziieren mit ihr eine Zeit, als Hip-Hop eine Reihe von Kriterien erfüllte, auf die man heute nostalgisch zurückblickt.
Bemerkenswert ist, dass „1 Of 1“ wirklich jenes goldene Zeitalter fortschreibt, und zwar ohne außer Acht zu lassen, dass dazwischen einiges passiert ist und das Genre nicht in seinem lichtesten Moment seinen 50. Geburtstag feierte, sondern in einer seiner kommerziell schwächsten Stunden.
„The company I signed with, lost in distribution“, bedauert die Sprechgesangs-Pionierin autobiographisch in „Lyte Ghost Lil Mama“, und zwei New Yorker Kollegen stehen ihr in dem Track stimmlich bei, Ghostface Killah (aus Staten Island) und Lil Mama (aus Harlem). Scharfzüngig rechnet MC Lyte ab, allerdings stets mit der Liebe zum Musizieren im Fokus und nie verbittert.
Auf den 9. August 1973 datiert man die Geburtsstunde dieser Subkultur in der Bronx, da war Lana Michele Moorer, wie MC Lyte bürgerlich heißt, knapp drei Jahre jung. Lana, die sich ihren Rapper-Namen schon in der Pubertät gab, war als Vorreiterin am Ort des Geschehens. „First, ‚Sparkle‘, then I was ‚Red‘, then I changed my name to Lyte“, erklärt sie auf dem Album.
MC Lyte war eine der ersten überhaupt und insbesondere eine der ersten Frauen, die auf Album-Länge ihre Wort-Kaskaden spitteten (so heißt das, wenn ein Gedanke den anderen nahtlos ablöst, als würde die Rapperin gerade ihrer Nachbarin im Hauseingang spontan die Geschichte erzählen und dabei ihr Temperament mit ihr durchgehen). Die Bezeichnung kommt aus dem Freestyle-Rap, wer es kann, hegt einen poetischen Anspruch, so ähnlich wie die Teilnehmer von Poetry-Slams.
Mit einer Aneinanderreihung einschlägiger Schimpfwörter wie nigga, (mother)fucking, bitch und so fort ist es in der Sphäre einer MC Lyte und ihrer Golden-Era-Zeitgenossen jedoch beileibe nicht getan. Das Prahlen mit materiellen Status-Symbolen, wie es nach der goldenen Ära den Gangster-Rap kennzeichnete, ist hier fehl am Platze:
„No more fly cars or Cartier bags“, teilt MC Lyte, die Grande Dame des East-Coast-Rap uns mit. Wer frech ist, Mut und Intellekt beweist, originell mit Sprache umgeht und sich, im Falle von Frauen, nicht selbst als Püppchen abstempelt, hatte im Hip-Hop der zweiten Hälfte der 1980er die Nase vorn.
Der Sound war entweder verschnörkelt und setzte auf Funk-, Soul und Jazz-Samples, oder er war ganz klar Hardcore-Rap, trocken, kaum mit Melodie bestückt, 808-Beats aus dem entsprechenden Sequenzer prägten die Ästhetik.
Manchmal sentimental und melodramatisch in der Lyrik, zweimal sogar nah am Gospel in der Musik, beschwört die Feminismus-Aktivistin alte Zeiten herauf. Immer wieder knüpft MC Lyte an Text-Motive ihrer frühen Alben aus der Phase 1988 bis 1992 an.
Ihre dunkle Stimme signalisiert vehement: „Ich lasse mich nicht auf den Arm nehmen, von niemandem; ich benutze mein Hirn“. Dank ihrer prägnanten Stimmfarbe und der ausgeklügelten Winkelzüge in ihrer skalpellscharfen Analytik lässt sich MC Lytes Stimme neben den Beats und Loops wie ein Instrument auffassen.
Denn Lana Moorer gelingen Zeilen, die so straff und dicht gewoben sind und doch so rhythmisch-elastisch ins Ohr gehen, dass sie eines Literaturpreises würdig wären. „It came with playing the pawn, in the palm of the underhanded / so the summer plan is to gain the upper hand (…) got my feelings on my sleeve, but they sure to cut a hand“.
Man muss das alles im Detail nicht verstehen, um die gut klingende Sprache zu spüren. So viel sei versichert: MC Lyte geizt nicht mit Anspielungen auf dieses Geschäft an der Mikrofon-Front, getreu der Weisheit ‚there’s no biz like showbiz‘ und der Härte des Hip-Hop-Metiers für Frauen und kritische Geister. Sie tränkt ihre Wort-Wasserfälle tief in ihrer Lebens- und Branchenerfahrung.
Dass eine Armada von hochkarätigen, qualitativ anspruchsvollen und namhaften Mitstreitern, Co-Sängerinnen und Rapperinnen mitmacht, wertet „1 Of 1“ weiter auf. Die gesamte Crew setzt sich aus Leuten von MC Lytes Generation genauso wie der danach und davor zusammen. Von Stevie Wonder mit einem Auftritt an seiner Chromonica-Mundharmonika in „Change Your Ways“ bis zu einem Comedian (Affion Crockett) in einer Lied-Überleitung reicht das Spektrum.
Bei aller geballten Prominenz setzt die Impuls-Geberin von einst nur mehr ein Underground-Produkt in die digitalen Dienste – in Rock, Metal, Reggae oder Folk weiß man Altgediente oft mehr zu schätzen.
Die Grooves stammen aus sieben unterschiedlichen Beat-Schmieden, entsprechend heterogen und abwechslungsreich hört sich das Material an. Gleichwohl lässt sich „1 Of 1“ als Konzept-Werk über das Leben einer maßgeblichen Wegbereiterin der weltweiten Hip-Hop-Kultur auffassen.