Wo ein erleuchtetes Fenster im Wohngebiet zum Hoffnungsschimmer wird und ein Containerschiff zum Licht am Horizont, da ist König Boris nicht weit. Ein knappes Jahr nach dem Ende von Fettes Brot legt der Hamburger Rapper nun das Album „Disneyland After Dark“ vor – es ist eine Ode an seine Stadt.
Eine Stadt, in der laut Selbstbeschreibung „eigentlich alles stimmt“, die regelmäßig den Geburtstag ihres Hafens feiert und die nicht nur die Warburg-Bank, sondern auch die Rote Flora beherbergt, die Hafen-City und die Reeperbahn.
Für die Popmusik hat Hamburg lang eine führende Rolle gespielt. In den 60ern begründeten hier die Beatles ihren Weltruhm, in den 90ern waren es Bernd Begemann, Jochen Distelmeyer und andere, die mit der „Hamburger Schule“ der deutschsprachigen Musik neue Wege aufzeigten.
Kurz darauf schlug auch die Stunde des Hamburger Hip-Hops – und hier kamen Fettes Brot ins Spiel, die mit originellen Texten und technisch ausgefeilten Doppelreimen neue Standards setzten. Die Highlights: „Jein“ (1996), „Lieblingslied“ (1998), „Da draußen“ (2000).
Nach 2000 aber endete die Hamburger Dominanz. Symptomatisch: Universal Music wanderte ab – und auch der maßgebliche Deutsch-Rap kam plötzlich aus Berlin. Fettes Brot verloren in den Folgejahren zunehmend an Innovations- und Überzeugungskraft.
Von diesen Hemmnissen – und auch dem Drang, unterhaltsam sein zu wollen – scheint König Boris als Solokünstler befreit zu sein. Treffsichere Texte auf pulsierenden Beats, die an Fatboy Slim und The Prodigy erinnern – so könnte man die Grundzutaten von „Disneyland After Dark“ zusammenfassen.
Mit geschärftem Blick und variablem Rap-Flow beschreibt König Boris in 12 Songs, was so alles passiert im Hamburger Kiez. Während die einen, vom Alltag gestresst, eine Party „auf dem Balkon“ feiern, blicken wir im „Bunker“ den menschlichen Abgründen ins Auge.
In „Unten an der Ecke“ heißt es naheliegend: Es ist „schön und scheiße gleichzeitig“ – und wir denken an „Schwarz zu Blau“ von Peter Fox, in dessen Tradition sich König Boris hier mit poetischer Ernsthaftigkeit einreiht.
Als Ausleuchter städtischer Schattenseiten erweist sich König Boris auch im Titeltrack „Disneyland After Dark“, in dem er mit uns durchs Schlüsselloch der Stadtmenschen blickt, ehe wir auf dem aus der Ich-Perspektive erzählten „Stadtratte“ im Sumpf der Trostlosigkeit zu versinken drohen.
Doch unter all der Kälte und Dunkelheit, die uns auf „Disneyland After Dark“ begegnet, befindet sich ein glühender Nukleus: die Zuneigung des Künstlers zu seiner Stadt, der er samt aller sozialer Disparitäten hier ein gelungenes musikalisches Denkmal setzt.
So spendet das „Disneyland“ an der Elbe am Ende auch denen, die „im Dunkeln nicht schlafen“ können, einen kleinen Schimmer Hoffnung – selbst wenn es sich dabei nur um das Scheinwerferlicht eines Containerschiffes handelt.