Ich weiß nie, was mich erwartet – Julia Holter im Interview

So unbeschwert und vielschichtig wie auf dem neuen Album „Something In The Room She Moves“ klang Julia Holter bislang noch nie. Plötzlich schauen elektronische Sphären als Dauergäste vorbei, die Beats stehen mehr und mehr im Fokus. Die immer etwas kruden Songstrukturen bleiben aber auch in dieser Reinkarnation zentral. Einige Wochen vor dem Release ihres fünften Studioalbums erzählte uns Julia Holter über die Umstände rund um das Album und das große Thema der neuen Platte: die Liebe.

MusikBlog: Hallo, Julia. Wie fühlst du dich gerade? Hat sich dein Gefühl bezüglich eines Albumreleases verändert?

Julia Holter: Ein wenig verändert es sich schon. Als ich das erste Mal ein Album von mir auf Vinyl gesehen habe, habe ich geweint. Ich versuche natürlich, dieses Maß an Wertschätzung beizubehalten, aber es ist ganz normal, sich an manche Dinge zu gewöhnen. Trotzdem gebe ich mir Mühe, mir all der Arbeit, die hinter so einer Platte steckt, bewusst zu sein – nicht nur meiner eigenen, sondern auch die anderer Musiker*innen, dem Label und anderen Leuten, die mitgearbeitet haben.

MusikBlog: Dein letztes Solo-Album ist mittlerweile ja schon einige Jahre her. Dazwischen liegt nicht nur die Pandemie, sondern auch die Veröffentlichung von verschiedenen deiner musikalischen Projekte. Wann kam der Zeitpunkt, an dem du gemerkt hast, dass jetzt wieder Zeit für ein Julia-Holter-Album ist?

Julia Holter: Ich glaube, der erste Song war „Materia“ und den habe ich schon 2019 geschrieben. 2020 habe ich dann an einer Idee gearbeitet, die dann in zwei weitere Songs geführt hat – „Evening Mood“ und „Something In The Room She Moves“. Diese beiden Songs basieren auf demselben Drum Beat, haben sich aber in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Das war für mich der Start dieser Platte.

Zu diesem Zeitpunkt – also Anfang 2020 – war ich im ersten Trimester schwanger und habe mich wie außerhalb meines eigenen Körpers gefühlt und dann war zusätzlich die Pandemie bereits in vollem Gange. Dank all dieser Umstände hört man mich auf den Demos sogar gähnen. Der Vibe dieser Demos fühlt sich für mich sehr körperlich an, schließlich hat man zu dem Zeitpunkt auch viel über das Atmen, die Masken und die Lungen gesprochen.

MusikBlog: Das finde ich sehr spannend, denn die Platte klingt sehr fließend und scheint durch verschiedene Sphären zu wabern. Du selbst sagst wiederum, die Platte sei sehr mit menschlichen Körpern verknüpft. Ein interessanter Twist, da Körper üblicherweise sehr konkret dargestellt und aufgefasst werden. Würdest du sagen, dass du diese Platte in Bezug auf Produktion und Songwriting auch anders angegangen bist?

Julia Holter: Der Prozess fühlt sich ähnlich an. Zuerst improvisiere ich Ideen auf meinem Computer und komme dann auf die zurück, die interessant sind und entwickle sie weiter. Oft transkribiere ich die merkwürdigen Dinge, die ich gemacht habe, damit andere sie nachmachen können. Einige Sachen bin ich aber auch anders angegangen – im Songwriting-Prozess weniger, wobei Dev Hoff, meine Bassistin, einige Basslines auch fokussierter geschrieben hat als früher.

Das ist schon ein sehr wichtiger Bestandteil dieser Platte. Auf diese Weise fühlt sich dieses Album kollaborativer an, noch mehr als zuvor. Außerdem bin ich bei der Produktion noch viel tiefer in die Drum-Programmierung eingetaucht. Natürlich hat auch meine Drummerin Beth (Elizabeth Goodfellow, Anm. der Red.) viel Schlagzeug beigesteuert, aber bei einigen Songs wie „Some Girl“ habe ich mich wirklich sehr intensiv mit der Drum-Programmierung auseinandergesetzt.

MusikBlog: Das Album fühlt sich aufgrund der zahlreichen Beats und elektronischen Momente auf jeden Fall anders an. Hattest du schon früh eine Idee, wie diese Platte klingen wird oder hat es dich selbst überrascht?

Julia Holter: Ich weiß nie, was mich erwartet. Das macht den ganzen Spaß für mich aus. Aber meine erste sehr generelle Produktionsidee war dieser bundlose Bass, der sehr ’sprachlich‘ ist und leichte Verschiebungen auf den Synthesizern mit sich bringt. Auf dieser Basis habe ich gebaut, aber alle weiteren Details kannte ich vorher nicht.

MusikBlog: Spannenderweise steigt das Album nun durch völlig unterschiedliche Stimmungen, vergleicht man beispielsweise „Evening Mood“ mit „Talking To A Whisper“. Hier gibt es sehr spannende Unterschiede – aber inwiefern sind sie trotzdem miteinander verbunden?

Julia Holter: Die Frage ist für mich schwierig, da ich ja – wie gesagt – nicht plane. Für mich erforschen sie alle auf eine sehr poetische Weise das Interesse daran, ein Gefühl festzuhalten, und sind gleichermaßen eine Reflexion der Magie inniger Liebe. Viele meiner bisherigen Alben behandeln die Liebe aus der Vergangenheit, „Aviary“ wiederum die Liebe aus der Zukunft. Als Elternteil wirst du aber kontinuierlich in die Gegenwart geholt. Und genau das war für mich sehr interessant – obwohl es als Künstlerin eigentlich sehr frustrierend sein kann.

Es dreht sich also um Liebe aus der Entfernung, um innige Liebe und solche aus langjährigen Beziehungen oder familiäre Liebe, an der man arbeiten muss. Sowohl mit den eigenen Eltern als auch als Elternteil. Den Großteil meines Lebens war ich ja kein Elternteil, daher dreht sich die Platte nicht nur darum, dennoch können Hörer*innen viel über diese intensive Liebe hören. Es geht um die viszerale Intensität einer Liebe, die direkt vor deiner Nase ist, versus der Illusion, jemanden zu lieben und von ihm wie besessen zu sein.

Während dieses Albumprozesses war ich viel von Tod umgeben, nicht nur dem meiner Großeltern, sondern auch dem meines mit 16 Jahren verstorbenen Neffen. Diese Situation in Kombination damit, ein Kind zu haben, war sehr herausfordernd. Auf dieser Platte geht es also um Schmerz und Ekstase von Liebe.

MusikBlog: Dieser Hintergrund passt auch zum Sound der Platte, so wie hier völlig unterschiedliche Stimmungen aufeinandertreffen und dennoch nebeneinander Sinn ergeben. Ist der Raum aus dem Albumtitel eigentlich dieser Platz für Emotionen oder spielst du damit auf etwas anderes an?

Julia Holter: Das versuche ich selbst noch herauszufinden. Dieser Song ist für mich das Herz der Platte und gleichzeitig ist es der Song, den ich am schwierigsten erklären kann. Da gibt es diese gesamte häusliche Bildsprache, die sehr Teil dieser Platte ist. Wenn ich in mein Unterbewusstsein schaue, ist da natürlich zum einen der Einfluss der Umstände aus der Corona-Pandemie, die viel mit dem häuslichen Hintergrund zusammenhängen. Aber es ist nicht nur das.

Gleichzeitig geht es darum, denselben Raum auf unterschiedliche Weise zu erleben. Dafür spiele ich mit dem Beatles-Titel („Something In The Way She Moves“, Anm. d. Red.) und arbeite mit verschiedenen Assoziationen. Zwar habe ich damals viel über diese Entscheidung nachgedacht, aber es fühlte sich für mich sehr schnell richtig an. Der Song hat für mich übrigens auch eine Verbindung zu „Feel You“ von meinem Album aus 2015 („Have You In My Wilderness), da die Harmonien und Wärme zusammenpassen. Es ist also in gewisser Weise auch eine Rückbesinnung.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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