Manche Menschen sind davon überzeugt, dass es bei elektronischer Tanzmusik nur um genau das geht: ums Tanzen, um das mechanische, körperliche Erlebnis. Wie falsch diese Menschen allerdings liegen, beweisen Acts wie Tinlicker immer wieder.

Die beiden niederländischen Produzenten verschreiben sich bereits seit 12 Jahren der Lebensaufgabe, emotional geladenen Elektro in eine oftmals ebenso geladene Welt zu setzen, um ein ganzheitliches Erlebnis zu schaffen, das Körper und Geist durchdringt.

Auf “In Another Lifetime” von 2022 war diese Herangehensweise des Duos noch etwas grauer, etwas trauriger und etwas pessimistischer gefärbt: Die eindrückliche Mischung aus House und Techno bildete auf dem zweiten Album des Duos noch eine düstere Welt ab.

“Cold Enough For Snow” wiederum initiiert eine leichte Kehrtwende der Gefühlslage: Wie der Titel des dritten Albums bereits vermuten lässt, weht zwar nach wie vor ein eisiger Wind durch die Elektro-Welt von Tinlicker.

Diesen brechen allerdings optimistischere Töne immer wieder auf. “Glasshouse” etwa versprüht mit freundlichen Harmonien und der samtig-weichen Stimme von Gastsängerin Julia Church ein Gefühl, das dem Beginn des Frühlings nach vielen kalten Winterwochen gleich kommt.

Allgemein ist die Gastriege von “Cold Enough For Snow” ein gewaltiger Schritt nach vorne für Tinlicker, die einige beachtliche Wegbegleiter*innen fanden: Neben Church ist da etwa in “This Life” Gastsänger Tom Smith, seines Zeichens Frontmann der Editors.

Die Indie-Rocker Circa Waves sind bei “Nothing To Lose” dabei und verbreiten dort sonnige, Melodiemomente, Nathan Nicholson von The Boxer Rebellion ist gleich mehrmals zu hören. Der größte Name dürfte aber Brian Molko von Placebo sein, der sein unvergleichliches Organ im bittersüßen “Nowhere To Go” einbringt.

Tinlicker finden mit den Sänger*innen jedes einzelne Mal die richtige Balance zwischen Pop-Nuancen und gefühlvollem Elektro-Exzess, mit der man genauso gut tanzen wie schmachten kann.

Darüber hinaus sind es die reinen House- und Melodic-Techno-Tracks, die mit himmlisch weiten Klangsphären weite Räume schaffen und sich immer weiter in Ekstase schrauben. “Blowfish” ist solch ein Song, der in fast sechs Minuten eine weite, intensive und komplexe Reisegeschichte erzählt.

“Cold Enough For Snow” ist ein Album, das mit allen Sinnen erlebt werden möchte – auch und gerade mit den emotionalen, fernab der harten, anatomischen Realität. Im Gegenzug bieten Tinlicker ein introspektives Abenteuer durch Gefühle, die man im Alltag – leider – viel zu selten fühlt.

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