Giant Rooks, ihr waghalsigen Helden des Indie-Pop, ihr trotzt mutig der Herrschaft der 15-Sekunden-Aufmerksamkeitsspanne von TikTok und Insta-Reels, indem ihr ein Album veröffentlicht, das fast 50 Minuten lang ist. „How Have You Been?“ fragt ihr – und man denkt sich eher „Was habt ihr bis jetzt getrieben?“, wenn man sich vor Augen hält, dass wir sieben Songs der Tracklist schon kennen – „Morning Blue“ bereits seit 2022.

Die Schulfreunde aus Hamm, angeführt von Frontmann Frederik Rabe, haben schon mit ihrem Debütalbum “Rookery“ bewiesen, dass sie es drauf haben: Internationaler Erfolg, eingängige Refrains, fast schon perfektionierte Instrumentation – und ein bisschen Art-Pop obendrauf. Die Fans und Kritiker*innen waren begeistert, die Vorfreude auf den Nachfolger wuchs und wuchs.

Aber mit ihrem zweiten Projekt scheint es, als ob sie ein wenig den Fokus verloren haben. Probieren wir es mal mit einem Beispiel: Wenn “Rookery“ der “Weiße Hai“ unter den Alben ist, dann ist “How Have You Been?“ irgendwie “Der weiße Hai 2“. Filmfans, ihr versteht, was ich meine, oder?

Das neue Album breitet sich zwar als musikalisches Buffet aus, jedoch fehlt leider der gewisse Biss (ja, wir bleiben bei der Hai-Metaphorik). Vielleicht liegt’s daran, dass die Texte manchmal etwas zu klischeehaft sind und nicht mit der Komplexität des Vorgängers mithalten können? Es geht um emotionale Krankenhausbesuche (“Nobody Likes Hospitals“), Familienkonflikte (“Cold Wars“), die Suche nach Trost (“Under Your Wings“) und eine obskure Obsession für Erdbeeren.

Musikalisch wird man teilweise an Imagine Dragons oder Bastille erinnert, besonders bei Tracks wie „Somebody Like You“ oder „Fake Happiness“. Das ist natürlich nicht unbedingt negativ, aber man könnte fast meinen, die Burschen haben sich das Rezept für radiotauglichen Pop-Rock zu sehr zu Herzen genommen. Zum Glück rettet Frontmann Rabe das Album mit seiner Stimme vor einer drohenden Belanglosigkeit.

Bevor wir jetzt alle in Wehklagen ausbrechen: Es gibt durchaus Perlen im Haifischbecken des Power-Radiopops. “Brave New World“ taucht mit seinem faszinierenden Krautrock-Sound auf wie eine schon fast ausgestorbene Spezies und auf “Flashlights“ bekommen wir eine geschmeidige, psych-inspirierte Bridge serviert.

Auch das Familiendrama “Cold Wars“, das sich schon fast filmisch im Kopf abspielt und dabei nicht mit Gefühlen geizt, hebt sich von dem Rest der Tracklist ab.

Wenn man sich die Highlights anschaut, ist ein bisschen zum Mäusemelken, dass hier der Fokus auf Mitsing-Hymnen gelegt wird, statt den künstlerischen Indie-Weg weiterzugehen. Aber sei’s drum, mit ihrer zweiten Platte räumen Giant Rooks fleißig weitere Steine aus dem Weg zum Mainstream-Erfolg. Ob das nun ein Kompliment ist oder nicht, überlasse ich euch.

Mit “How Have You Been?“ gleiten die Giant Rooks eine knappe Stunde lang durch die Pop-Gewässer, ohne dabei ihre musikalische Seele zu verlieren. Wenn man über die manchmal etwas flachen Texte hinwegsieht und sich auf die starken Instrumentals, eingängigen Hooks und die grandiose Stimmperformance konzentriert, hat man am Ende trotzdem eine ziemlich solide, wenn auch nicht zu komplexe, Scheibe in der Hand.

Denn mal ehrlich, wer braucht heutzutage noch Tiefgang, wenn man mitsingen kann, oder?

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