Hinter der Tür mit der Aufschrift „Deutschsprachiger Elektro-Pop mit Humor und gesellschaftskritischer Attitüde“ stehen die Grossstadtgeflüster-Verantwortlichen Jen Bender, Raphael Schalz und Chriz Falk schon seit vielen Jahren ganz weit vorne in der Reihe. Mit Berliner Schnauze und viel Mut zum musikalischen Risiko schickten die Hauptstädter so großartige Szene-Hits wie „Fickt-Euch-Allee“, „Feierabend“, „Diadem“ und „Ich Muss Gar Nix“ auf Reisen. Dieser Tage meldet sich die Band mit ihrem ersten Longplayer seit beinahe fünf Jahren zurück. Kurz vor der Veröffentlichung von „Das Über-Icke“ trafen wir uns mit Frontfrau Jen Bender zum Interview und plauderten über unkonventionelle Entstehungsprozesse, ehrliches Miteinander und unsterbliche Erinnerungen.
MusikBlog: Jen, ich falle mal gleich mit der Tür ins Haus. Ihr habt bereits auf euren alten Alben immer mal wieder so ein bisschen an der Alt-Berliner, leicht chansonetten Kneipenfolklore geschnuppert. Diesmal geht ihr mit Songs wie „Mein Bier“, „Matrjoschka“ und „Verschenktes Potential“ noch einen Schritt weiter. Für eure Verhältnisse kann man da ja schon fast von einem Konzept reden. Wie kommt’s?
Jen Bender: Also von einer konzeptionellen Herangehensweise sind wir immer noch weit entfernt. Aber es stimmt natürlich: Diese Einschübe waren schon immer irgendwie präsent – und diesmal sind wir da in der Tat noch ein Stück weiter gegangen. Es ist ja auch nicht so, dass wir komplett gegen jegliche Strukturen und Pläne arbeiten. Wir machen uns da schon auch immer unsere Gedanken. Grundsätzlich ist es aber so, dass wir nicht wirklich so arbeiten wie die meisten anderen Bands. Wir treffen uns nicht klassisch irgendwann im Proberaum und überlegen uns dann, in welche Richtung es gehen könnte. Unsere Musik entsteht eher so on the fly. Die Ideen dürfen zu uns kommen. Mittlerweile ist da auch unser Umfeld so involviert, dass bei uns eigentlich keiner wirklich weiß, wann irgendwas passiert. Das ist schon auch ein großer Luxus, den wir sehr zu schätzen wissen.
MusikBlog: Das letzte Album steht jetzt schon seit 2019 in den Regalen. Warum hat es diesmal etwas länger gebraucht?
Jen Bender: Da hat natürlich auch die Pandemie mit reingespielt. Eigentlich wollten wir ja mit dem letzten Album auch auf Tour gehen. Der erste Lockdown fiel dann aber genau auf den Tag des geplanten Tourbeginns. So hingen wir alle erstmal ziemlich orientierungslos herum, wie die meisten anderen Bands auch. Die Ideen, die dann während dieser Zeit aufploppten, waren alle irgendwie nicht wirklich fesselnd und überzeugend. Bei Raphael und mir ist auch immer so, dass wir gerne die Zeit, in der wir zwischen Studio und Bühne hin und her pendeln, für neue Ideen nutzen. Dieser Flow ist aber irgendwie gar nicht erst entstanden. So hat es dann einfach länger gedauert.
MusikBlog: Die Pandemie hat sehr viele Bands und Künstler*innen „verschlungen“. Wie erging es euch? Stand das große Ganze auch mal auf der Kippe?
Jen Bender: Ich glaube, dass wir nie sonderlich weit in die Zukunft geblickt haben. Da sind wir gar nicht die Typen für. Wir machen das alles jetzt schon seit über 20 Jahren. Aber der Zeitpunkt, seit dem wir mit der Musik auch unsere Miete bezahlen können, ist jetzt nicht so lange her. Wir kennen die Situation also ganz gut, in der nicht wirklich klar ist, wie es denn in einem halben Jahr aussieht. Das hat uns daher nicht wirklich aus der Bahn geworfen. Wir haben ja alle auch ein bisschen was zur Seite gelegt. Schwieriger war es da schon auf der emotionalen Ebene – vor allem auch im Umgang mit all den Leuten, die hinter der Bühne und im weiteren Umfeld der Band am Start sind.
MusikBlog: Du hast eben schon kurz deine langjährige Zusammenarbeit mit Raphael angeschnitten. Wie kann man sich euren musikalischen Gedankenaustausch vorstellen?
Jen Bender: Wir kommen im Entstehungsprozess schon ziemlich früh zusammen. Wir teilen dann auch jeden Gedankenfurz. Irgendwann verschmelzen dann die Ideen und Gedanken. Das ist, aufgrund der langen Zeit, schon ziemlich eingespielt und vertraut.
MusikBlog: Entstehen in diesem Prozess auch mal hitzige Diskussionen?
Jen Bender: Wenn man sich so lange kennt, dann geht man sehr ehrlich und direkt miteinander um. So entstehen auch gar keine langen Phasen, in denen sich irgendeiner irgendwie unwohl fühlt. Wenn einer von uns eine Idee blöd findet, dann spricht er das auch so aus. Dann kommt kurz das kleine Kind raus, man rollt sich auf der Gegenseite plärrend am Boden und dann ist aber auch schnell wieder alles gut. Da entstehen keine großen Dramen.
MusikBlog: Mein persönlicher Lieblingssong des Albums heißt „Da Lang“ – ein Track, in dem es um Schnelllebigkeit, Orientierungslosigkeit und Druck geht. Hast du einen ganz persönlichen Songfavoriten?
Jen Bender: Das ändert sich immer mal wieder. Ich denke schon, dass die Single-Auskopplungen irgendwie auch immer die Songs sind, die man am liebsten sofort teilen möchte. Aber am Ende des Tages ist es ja eine ganze Platte. Wir machen ja noch richtige Alben – und da gehört irgendwie jeder Song mit dazu. Da kann man nur sehr schwer einen rauspicken.
MusikBlog: So ein ganzer Albumprozess deckt ja mehrere Phasen ab. Songwriting, Studioarbeit, Proben, Konzerte: Wann und wo fühlst du dich am wohlsten?
Jen Bender: Ich brauche und genieße alles. Die ganzen Parts sind ja auch miteinander verbunden. Wenn wir im Studio sind, dann produzieren wir ja auch irgendwie für die Bühne. Und wenn wir auf der Bühne sind, dann holen wir uns Inspiration fürs Studio. Wenn wir lange auf Tour sind, dann freue ich mich irgendwann wieder aufs Studio, auf meine Höhle, in die ich mich verkriechen und in der ich rumtüfteln kann. Umgekehrt ist es dann genauso.
MusikBlog: 20 Jahre sind eine unheimlich lange Zeit. Ich habe mir vor ein paar Tagen euren letzten Auftritt beim Highfield Festival angeschaut. Da war eine Wahnsinnsstimmung. Erinnerst du dich noch an eure allerersten Shows?
Jen Bender: Ja, ich erinnere mich noch an viele tolle Momente aus einer Zeit, in der es manchmal vor der Bar voller als vor der Bühne war. So hat damals alles angefangen. Die Jahre sind wirklich verflogen. Aber so ist es ja meistens, wenn es um schöne Zeiten geht. Dann blickt man irgendwann zurück und kann gar nicht glauben, dass schon so viele Jahre vergangen sind. Wir sind auf jeden Fall total dankbar für all die Jahre und all die wunderbaren Momente.
MusikBlog: War das eigentlich schon von Beginn an abzusehen, dass es mit der Band mal richtig auf die Überholspur gehen würde?
Jen Bender: Nein, absolut nicht. Das war ein stetiger Prozess. Mir wurde nur irgendwann klar, dass ich ohne die Jungs und diese Band ganz schön traurig sein würde. Und so geht es mir auch heute noch. Ich hätte damals nie im Traum daran gedacht, dass wir es mal so weit schaffen würden.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.