Ich sitze lieber an der Gitarre und schreibe Songs – Bill Ryder-Jones im Interview

Wer in Wales unterwegs ist und dabei auch gerne Halt in den typisch urigen Pubs des Landes macht, der wird nicht selten mit der Begrüßung „lechyd Da“ empfangen. Der standardmäßige „Zum Wohl!“ Trinkspruch der Walliser markiert auch den Titel des neuen Longplayers von Melancholie-Barde Bill Ryder-Jones. Das verwundert zunächst ein wenig, war der Brite in der Vergangenheit doch eher für sentimentale und schwermütige Singer/Songwriter-Klänge bekannt. Auch diesmal geht es wieder um Liebe, Verlust, Herzschmerz und Seelentristesse. In der Dunkelheit sind aber auch einige Lichtblicke erkennbar – und so schlägt das neue Album von Bill Ryder-Jones eine musikalische und auch inhaltliche Brücke zwischen Licht und Schatten. Kurz vor der Veröffentlichung von „lechyd Da“ trafen wir uns mit dem Sänger zum Interview und sprachen über wegweisende Kneipengänge und Musik als Heilungswerkzeug.

MusikBlog: Bill, bevor wir über die Musik auf deinem neuen Album reden, müssen wir uns über den Titel des Ganzen unterhalten. Ein walisischer Trinkspruch zur Begrüßung: Welche Geschichte steckt dahinter?

Bill Ryder-Jones: Es war einfach so, dass ich ewig nicht wusste, wie ich das Album nennen soll. Das passt eigentlich gar nicht zu mir. Normalerweise habe ich den Albumtitel bereits nach drei oder vier neuen Songs schon im Hinterkopf. Diesmal fiel es mir aber unheimlich schwer. Ich hatte zehn oder 15 mögliche Titel, die mir aber alle nicht wirklich zusagten. Ich war also gestresst und genervt und hing eine Weile immer mal wieder gerne abends in Wales in kleinen Pubs rum, um die alltägliche Arbeit an dem Album zu verarbeiten. Ich behaupte es jetzt einfach mal, denn es ist schon sehr naheliegend und ich kann es mir auch nicht anders erklären: Wenn man dann so oft mit einem so markanten Spruch konfrontiert wird, dann hinterlässt das irgendwie Spuren. In meinem Fall führte es gar dazu, dass ich so meinen langgesuchten Albumtitel in die Arme schließen konnte.

MusikBlog: Auf dem Cover präsentiert sich ein entspanntes, in schöne Farben getauchtes Dorfbild. Versteckt sich hinter einer der Türen vielleicht einer der besagten Pubs?

Bill Ryder-Jones: Ich hatte nach der Auswahl des Bildes eher das Gefühl, dass hinter jeder Tür ein neuer Song leben könnte. Diese Vorstellung gefiel mir sehr gut. Ich habe mich musikalisch nicht neu erfunden. Aber ich wollte schon ein paar mehr Lichtblicke zulassen, sowohl textlich wie auch musikalisch. Der Titel und das Cover passten da einfach gut rein in diese Idee.

MusikBlog: Apropos Lichtblicke: Wer oder was ist verantwortlich für diese neue Positivität?

Bill Ryder-Jones: Das ganze Album ist auf einem sehr positiven Fundament gereift. Die ersten Ideen entstanden während des ersten Lockdowns. Damals war ich gerade in einer sehr glücklichen Beziehung. Wir erstellten uns gegenseitig Playlists mit unseren Lieblingssongs. Ich merkte dabei, dass all die musikalischen Momente, die wir miteinander teilten, irgendwie nicht so viel mit meiner eigentlichen Musik zu tun haben. Das war irgendwie nicht so cool – also entschied ich mich Songs zu schreiben, die einfach etwas positiver waren. Wir haben dann auch zusammen Musik gemacht, und alles fühlte sich irgendwie gut an. Am ersten Tag schrieb ich den Song „Wee Don’t Need Them“. Ein Tag später folgten „I Hold Something In My Hand“ und „I Know That It’s Like This“. Es sprudelte nur so. Ab diesem Punkt wusste ich, dass ich gerade dabei war ein neues Album zu schreiben.

MusikBlog: Neben den erwähnten musikalischen Lichtblicken gibt es aber auch viel Herzschmerz.

Bill Ryder-Jones: Nun, die Beziehung ging leider irgendwann in die Brüche. Da stauten sich viel Wut, Schmerz und Trauer auf. Aber auch diese Phase war wichtig für das Album. So gibt es Songs vor der Trennung, in denen es um positive Gefühle geht und dann gibt es auch Songs, die während oder direkt nach der Trennung entstanden sind. Die klingen natürlich ein bisschen trauriger. Alles zusammen macht aber „lyched Da“ erst zu einem runden Album.

MusikBlog: Du hast früher schon sehr offen über düstere Themen gesprochen. In deinen Songs ging es um Depressionen und Selbstzweifel. Diesmal spielt Liebeskummer eine große Rolle. Wie wichtig ist dir Musik als Heilungswerkzeug?

Bill Ryder-Jones: Musik ist natürlich immens wichtig. Es gibt Leute, die verarbeiten ihr Leben und ihre Gedanken in Gedichten. Ich schreibe Songs und mache Musik, die mir dabei hilft, mit mir und meinem Leben klarzukommen. Ich brauche das alles. Ich muss auch einige Medikamente nehmen. Ich bekomme Marihuana verschrieben, damit ich ruhig und konzentriert arbeiten und mich in Interviews fokussieren kann. Keine Ahnung, was ich machen würde, wenn ich die Musik nicht hätte.

MusikBlog: Wann hast du gemerkt, dass Musik diese besondere Kraft besitzt?

Bill Ryder-Jones: Musik hat mich schon als kleiner Junge fasziniert. Ich denke, dass der Moment entscheidend war, als ich gemerkt habe, dass ich ein Teil davon sein könnte. Ich habe ja keine Ausbildung genossen. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich mit Melodien und Akkordabfolgen arbeiten kann. Diese Erkenntnis, dass ich selbst in der Lage bin, Musik zu machen, war sehr prägend für mich.

MusikBlog: Wie wichtig sind Konzerte und das Teilen deiner Gefühle und Gedanken mit dem Publikum für dich und deinen Heilungsprozess?

Bill Ryder-Jones: Ich will nicht übertreiben, denn es gibt auch schöne Momente, aber um ehrlich zu sein: Auf Tour zu sein ist für mich notwendiges Übel. Es fühlt sich für mich einfach nicht natürlich an, wenn ich irgendwo auf einer Bühne stehe und mich 200 Leute anstarren. Das verunsichert mich und bereitet mir Unbehagen. Je älter ich werde, desto besser kann ich mit der Situation umgehen. Aber ich leide immer noch unter Panikattacken, wenn ich auf Tour bin. Ich muss mich vor Konzerten auch immer noch übergeben. Das ist wirklich ein sehr schwieriger Part für mich.

MusikBlog: Ist der Beruf des Musikers für dich Fluch und Segen zugleich?

Bill Ryder-Jones: Ich bin im Herzen ein Musiker, kein Performer. Ein Performer verbringt vielleicht fünf Prozent seiner Zeit mit dem Schreiben von Songs. In seinem Kopf spielt sich alles um die Zeit auf der Bühne ab. Ich hingegen verbringe 99 Prozent meiner Zeit mit dem Schreiben von Songs. Ich weiß nicht, ich kann es mittlerweile mehr genießen als früher, keine Frage. Wenn es eine tolle Show gibt, dann bin ich danach und am nächsten Tag auch glücklich und zufrieden. Wenn es aber mal nicht so klappt, dann stelle ich mir schon die Frage, warum das alles sein muss. Ich weiß aber natürlich, dass es dazu gehört. Es ist nur nicht mein Lieblingspart. Ich sitze lieber an der Gitarre und schreibe Songs. Das ist das, was mir hilft, mich begleitet und mich durchs Leben trägt.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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