Wenn Anna-Calvi-Platten KI-gesteuert direkt in einen Film überführt würden, stünde als Ergebnis mutmaßlich kraftvoll-episches Arthouse-Kino. Oder eben ein Format wie „Peaky Blinders“.
Die morbide Bildgewalt der britischen Kultserie wurde im Verlauf – außer mit Stücken von ihr selbst – bereits mit Klängen von PJ Harvey über Radiohead bis David Bowie grundiert, für die Staffeln 5 und 6 zeichnet Anna Calvi jeweils federführend für den Original Score verantwortlich, der jetzt vollumfänglich zugänglich sind.
Die Faszination für die Figur des Familienvorsitzenden Tommy, der nachts ihre Träume beherrschte und ihr Instrument zu seiner Stimme werden ließ, aber auch die weiblichen Charaktere mit akustischem empowerment, stellvertretend für den Bruch männlicher Dominanz in dem Film- und Fernsehbusiness, zu stärken, machte den Auftrag für die Britin zur Obsession.
Obwohl Schlagzeug, Klavier, Geige nicht unbedingt Calvis primäres Handwerkszeug bedeuten, spielte die studierte Gitarristin für die differenzierte Orchestration das Gros des Equipments selbst ein.
So mahnt „You`re Not God“ bereits eingangs schrill vor den Gefahren der Überzeugung „Es gibt Gott und es gibt die Peaky Blinders“ des Clans, kündet „Black Tuesday“ wie eine Sirene von den pulverisierenden Folgen des Börsencrashs auf den Lebensstandard der Shelbys.
Behutsam illustriert das Piano in „I Don’t Like The Life“ jene Daseins-Zweifel, die sich später via „We Don’t Like The Life“ mehren, wird mit Dissonanz und latent bedrohlichen Tönen auf Mosleys Einflussnahme hingewiesen, die Grausamkeit von „The Execution“ bis zum letzten Hauch dokumentiert, um mit „Tommy`s Requiem #2“, den Season 5 Score abschließend, einen vitalen Blick in die Zukunft zu werfen.
Um einer Wiederholung aus dem Weg zu gehen holte sie sich für die Staffel 6 mit Nick Launay den „Hunter“-Produzenten an Bord. Die Pandemie machte die Fertigstellung des Soundtracks für diese Ausgabe des Wirrspiels um organisierte Kriminalität und deren Verstrickung in die Politik zu einer Herausforderung, die zeitweise in einer WG organisiert werden musste.
Anna Calvis Schwangerschaft ging dem Ende entgegen, pränatal wurde – mit Gitarre auf dem Bauch balancierend – komponiert, wurde nach der Geburt ihres Kindes parallel dazu gestillt – wenn jemandem Musikalität sprichwörtlich in die Wiege gelegt wurde, dann Calvis Sohn Elio.
Die Fender trifft für die Auftaktszene „Miquelon“ mit Neil Youngs „Dead-Man“-Aura auf die von der Regie gewünschte Morricone-Breitwand-Atmosphäre, lässt das düstere Cello während „Ruby Has A Fever“ die Wahnvorstellungen des TBC-kranken Kindes erahnen, mündet die Sanftmut von „The Eleventh Hour“ in die unscharfen Visionen des wabernden „Opium“.
Die Saiten zerschneiden „Michael’s Plan“ in Rowland-S.-Howard-Manier. Dass die Protagonistin Originale neu definieren kann, ist spätestens seit ihrer EP „Strange Weather“ bestens bekannt, sie lässt hier „Ain’t No Grave“ wie eine Suicide-Adaption rattern und dreht Nick Caves Titeltrack „Red Right Hand“ atemberaubend auf links.
Wenn „Tommy`s Final Requiem“ ein weiteres „Peaky-Blinders“-Soundtrack-Kapitel schließt, hat Anna Calvis Beitrag die Wirkung dieser Ausgabe wesentlich verdichtet.