Mit Minimalismus kann die Wiener Band Buntspecht seit jeher wenig anfangen. Das neue Album trägt den exaltierten wie kryptischen Titel „An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte“. Doch anstatt vor Entrückung den Rotstift zu zücken, entzücken Buntspecht mit der Art, wie sie jeglicher Schubladisierung den Rücken kehren.
Wie schon auf den Vorgängeralben „Draußen im Kopf“ (2019) und „Spring Bevor Du Fällst“ (2021) erschaffen sie auf ihrem vierten Werk eine Chimäre aus wirren Metaphern und schaurigem Hedonismus, angereichert um Einflüsse aus Jazz, Rock, Folk und Blues.
Der Opener „Hollywood Drama“ ist üppig und schmissig und verführt mit trägen Klavierläufen. Buntspecht glänzen mit opulenter Instrumentierung und verprassen in jedem einzelnen Song ein größeres Kontingent an Sprache als andere im Leben besitzen.
„Du weißt ja, Perfektion ist was für Anfänger.“ behaupten sie in „Intergalactic Mansion“ und gehen sich damit gewollt oder ungewollt selbst auf den Leim. Buntspecht sind eigentlich alles andere als Amateure und täuschen mit viel Liebe zum Detail makellose Wurschtigkeit vor. Es ist das musikalische Äquivalent zum aufwändig gestylten Out-of-Bed-Look. Tu so, als wär‘s dir wurscht!
Weniger um die Wurst, eher um narrische Schwammerl geht es in „Mojo Risin“. Während Bilderbuchs gelbes Bobby Car schon zu rosten begonnen hat, sind Buntspecht erst auf halber Strecke in die endlose Ekstase. Für ihren Trip zwischen „toten Salamandern und schönen bunten Schmetterlingen“ braucht man keinen Führerschein.
Ob jazzig und progressiv wie im ver(alb)träumten „Oh Boy“ oder beschwingt mit edlem Bass und feierlichen Bläsern in „Alles bricht (Lächerlich)“, Buntspecht verschreiben sich mit verspielter Verschrobenheit der irrsinnigen Unvollkommenheit des Menschen: „Selbst der Mond hat einen Sprung und strahlt dennoch bis zu uns“.
Mit viel Pathos in der Stimme und schweren Streichern warnen Buntspecht in „Funny Faces“ vor etwas Dunklem, das in einem selbst schlummert. Und doch will man sie öffnen, die Büchse der Pandora. Zu lieblich sind die süßen Flötenmelodien, zu amourös der Klang des Saxofons.
Dabei lustwandeln Buntspecht nicht einmal, sondern sie hatschen und wanken. In „Die Hunde bellen“ schlagen verwaschene Gitarren und ein präsenter Bass alles zu (Klang-)Brei. Sie finden eine der treffendsten Umschreibungen für die Tristesse des Lebens: „Wie ein Aspirin löst sich die Sonne im Nebel auf.“
Mit „An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte“ belegt das Wiener Quintett, dass es sich beim Vogel des Jahres 2024 nur um ein Missverständnis handeln kann. Hiermit folgt also eine Richtigstellung: Es ist nicht der Kiebitz und auch nicht die Grauammer, sondern der Buntspecht!