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Sufjan Stevens – Javelin

Das Wichtigste zuerst, das auch gar nichts mit Musik zu tun hat: Sufjan Stevens erklärte kürzlich seine Abwesenheit im Promo-Zyklus zu seinem neuen Album „Javelin“ damit, dass er im Krankenhaus sei. Im August litt der Sänger plötzlich unter Lähmungen und tauben Gliedmaßen. Die Diagnose: Guillain-Barré-Syndrom, eine seltene Autoimmunerkrankung, die das Nervensystem angreift.

Einige Zeit stand es schlecht um den Singer/Songwriter, denn die Krankheit drohte sich auf die Lungen auszubreiten. Mittlerweile ist das Gröbste jedoch überstanden und Stevens berichtet in seinem Blog aus seinem Therapiealltag, den er wohl noch für einige Monate beibehalten muss, um mondäne Dinge wie eigenständiges Gehen neu zu lernen.

Momentan heißt das konkret: Die Veröffentlichung von „Javelin“ bekommt er nur vom Krankenbett aus mit. Das Album ist die erste richtige und eigene Studioplatte seit „The Ascension“ von 2020, wenn man Besonderheiten wie das zyklische Fünffachalbum „Convocations“ rauslässt.

Es ist Balsam für die Seele, Stevens auf „Javelin“ dabei zuzuhören, wie er sich nicht von Gimmicks ablenken lässt und sich aufs Wesentliche konzentriert. Denn genau dies macht ihn zu einem der besten Repräsentanten von Folk und Singer/Songwriter dieser Zeit.

Unscheinbar fängt die Musik gewordene Wonne mit einfachen Klavierakkorden und der säuselnden Stimme des Sängers an. „Goodbye Evergreen“ schwillt allerdings schnell an und beherbergt alsbald Hintergrundsängerinnen, mehr Klavier und plötzlich ein ganzes Ensemble.

Mit all seinen neuen Songs beginnt Stevens relativ subtil und zurückhaltend und lässt sie größer werden, um sie dann explodieren zu lassen. Dabei lässt der Multiinstrumentalist ab von vergangenen Elektro-Experimenten und konstruiert fast ausschließlich im geerdeten Folk-Kosmos.

Akustikgitarren und Klaviere werfen sich Melodien und Akkorde zu, schaukeln sich gegenseitig auf, fangen Banjos, Orgeln und atmosphärische Streicher ein und schichten sich aufeinander. In den Fugen dieses Gebildes setzt der Musiker seine eigene persönliche Magie, mit der er oft spärlich umgeht – allerdings nicht hier.

Auf „Javelin“ gibt er das ganz besondere Fünkchen nämlich händeweise heraus. Über die Jahre versuchten die altklügsten Feuilleton-Schreiberlinge, diese Magie zu intellektualisieren und aufzuschlüsseln.

Die neuen Songs drängen allerdings mit jeder Pore zum einfachen Fallenlassen in die Soundschluchten des Sufjan Stevens. Von den trockensten und kleinsten Flüster-Momenten zum epochalen Indie-Folk-Monstrum badet der Sänger in jeder Sekunde und genießt die liebliche Welt, die er erschuf.

Jede Note hat ihre Daseinsberechtigung und ist mit Emotionen gefüllt, die auf so einen kleinen Raum gar nicht existieren düften. Genau wie die Musik leben diese Emotionen von Gegensätzen, Reibereien und Ergänzungen, die die zehn Songs so menschlich und nahbar machen.

Es heißt nicht, dass alles Andere der vergangenen Jahre schlecht war, wenn man sagt, „Javelin“ ist das Beste, was Sufjan Stevens seit einer Weile herausgebracht hat. Es bedeutet nur, dass dieses Album das Zeug zu einem weiteren Meilenstein in der Diskografie des Sängers hat.

Vergleiche mit „Illinoise“ oder „Carrie And Lowell“ werden vermehrt aufkommen – völlig zurecht, denn auf „Javelin“ zeigt sich der Sänger in legendärer Form. Gute Besserung, Sufjan!

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