Im März des Jahres 2011 katapultierte sich Jasmine Lucilla Elizabeth Jennifer van den Bogaerde alias Birdy mit einer Coverversion des Bon-Iver-Hits „Skinny Love“ mal eben so im Vorbeigehen in die Top 20 der britischen Single-Charts. 12 Jahre später ist aus dem unsicheren Rohdiamanten von einst eine gereifte Künstlerin geworden, die sich auf ihrem neuen Studioalbum „Portraits“ musikalisch befreit und mit neuer Orientierung präsentiert. Statt bedächtigem Folk mit melodischen Pop-Tupfern gibt es im Hochsommer 2023 elektronische Sounds und komplexe Atmosphären aus dem Hause Birdy. Kurz vor der Veröffentlichung ihres neuen Albums trafen wir die Sängerin zum Interview und sprachen über neue musikalische Reisen, Vergleiche auf höchster Ebene und eine nicht aufzuhaltende Entwicklung.
MusikBlog: Jasmine, dein letztes Album „Young Heart“ war ein sehr melancholisches und ruhiges Werk. Jetzt überraschst du deine Fans mit Up-Tempo-Songs und nostalgischen Grüßen aus den Achtzigern. Wie kommt’s?
Birdy: „Young Heart“ war mein bisher persönlichstes Album. Ich habe damals viele schmerzhafte und intensive Erfahrungen verarbeitet – nicht umsonst habe ich fünf Jahre gebraucht, um das Album zu veröffentlichen. Das war schon ziemlich heftig. Danach wollte ich damit abschließen, die Melancholie hinter mir lassen und nach vorne blicken. Ich wollte etwas ganz anderes machen. So entstand die musikalische Idee für „Portraits“.
MusikBlog: Diesmal sind nur zwei Jahren seit deinem letzten Output vergangen. Hast du direkt im Anschluss von „Young Heart“ mit dem Schreiben von neuen Songs begonnen?
Birdy: Ja, mehr oder weniger. Nach der Veröffentlichung von „Young Heart“ konnten wir ja nicht auf Tour gehen. Die Welt steckte noch mitten in der Pandemie. Ich hatte also die Wahl: entweder ich sitze herum und drehe Däumchen, oder ich schreibe Songs für ein neues Album. Ich habe mich dann für die zweite Option entschieden.
MusikBlog: Du hast gerade die Pandemie erwähnt. Wie hast du die Zeit erlebt, in der die Welt nahezu stillstand?
Birdy: Auf die Musik bezogen habe ich die Zeit sehr genossen, denn ich konnte mich völlig ohne Stress und Zeitdruck auf das einlassen, was ich am meisten liebe. Privat war es allerdings keine leichte Zeit. Natürlich habe ich die Zeit mit meiner Familie genossen, aber ich war auch in ständiger Sorge. Mein Vater hat Diabetes. Das war nicht immer so einfach, all die möglichen Gefahren für ihn auszublenden. Ich hatte da auch schon leicht paranoide Züge.
MusikBlog: Kommen wir zurück zu deinem neuen Album. Woher kommen all die neuen Sounds? Wer oder was hat dich besonders inspiriert?
Birdy: Wie schon gesagt, alles sollte ganz anders klingen. Ich habe dann einfach in mich reingehorcht und mich gefragt, welche Musik mich über die Jahre sehr beeinflusst hat. Dann standen Namen wie David Bowie, Portishead und all die elektronischen Vibes der Achtziger im Raum. Im Grunde war es ein ganz normaler und natürlicher Prozess.
MusikBlog: War es eine große Herausforderung plötzlich auf Up-Tempo umzuschalten?
Birdy: Nein, ehrlich gesagt, war das irgendwie überhaupt kein Problem. Woran es lag? Ich glaube, ich wollte diese Veränderung einfach so sehr.
MusikBlog: Dein letztes Album hast du in Nashville aufgenommen. Diesmal hast du für die Aufnahmen die meiste Zeit in London verbracht. Wie sehr beeinflusst solch ein Ortswechsel die Musik?
Birdy: Nun, in Nashville geht alles schon arg in Richtung Country. London ist da sicherlich etwas empfänglicher, wenn es um elektronische Musik geht, die hier und da auch ein bisschen flotter unterwegs ist. (lacht)
MusikBlog: Du hast vorhin David Bowie und Portishead erwähnt. Viele Menschen vergleichen dich auch gerne mit Kate Bush. Mich wundert das ein bisschen, denn ich habe dich immer eher mit den klassischen Singer/Songwritern verbunden. Wie siehst du das?
Birdy: Ich sehe das genauso wie du. (lacht) Ich finde Kate Bush und ihre Musik total klasse, keine Frage. Aber ich habe mich nie wirklich auf ihren musikalischen Pfaden wandelnd gesehen. Es stört mich aber auch nicht, wenn mich die Leute mit Kate Bush vergleichen. Das ist ja auch irgendwie eine große Ehre.
MusikBlog: Du hast damals mit zwei durch die Decke gehenden Coversongs angefangen („Skinny Love“, „Shelter“). Welchen deiner Songs würdest gerne mal umarrangiert von einem anderen Künstler hören?
Birdy: Oh, das ist echt schwierig. Ich denke, dass ich mich über jeden Song meines letzten Albums besonders freuen würde, denn diese Songs stehen mir unheimlich nah. Für einen speziellen Künstler kann ich mich aber nicht entscheiden. Das sprengt irgendwie mein Vorstellungsvermögen. (lacht)
MusikBlog: Du bist eine sehr erfolgreiche Solo-Künstlerin. Hattest du je auch mal die Gedanken, es in einer Band zu probieren?
Birdy: Ehrlich gesagt, hatte ich immer das Gefühl, dass ich gar keine andere Wahl hatte. Als es damals so richtig losging, wurde ich von dem Tempo förmlich überrollt. Ich war auf einmal eine Solo-Künstlerin, ohne dass ich mich so richtig dafür entschieden hatte. Es ist einfach passiert. Kurz zuvor habe ich noch mit meinem Bruder zusammen in einer kleinen Band gespielt. Aber mit dem Hochladen meiner ersten Songs am Klavier war das mit der Band dann irgendwie durch.
MusikBlog: Wie denkt dein Bruder heute über deine Entwicklung?
Birdy: Er ist mittlerweile als Produzent tätig, also auch der Musik treu geblieben. Auf meinem letzten Album war auch an einem Song als Toningenieur beteiligt. Ich hoffe, dass er ein bisschen stolz auf seine Schwester ist. (lacht)
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.