Wenn uns die gegenwärtige Musiklandschaft und ihre erfolgreichsten Künstler*innen eines veranschaulicht haben, dann, dass heutzutage nichts mehr aus der Zeit gefallen ist. Jede noch so kleine Referenz an vergangene Ären, die in den 2010er Jahren vielleicht noch als ungelenke und angestaubte Vergangenheitsverkärung bewertet worden wäre, hat heute wieder einen Platz im Popgeschäft.
Für Jake Shears sind das eigentlich sehr gute Neuigkeiten. Denn schon sein letztes Album, das gleichzeitig seinen Auftakt als Solo-Musiker markierte, trumpfte mit einem Verständnis für Selbstinszenierung und mosaikhaften Pop auf, das den Scissor Sisters Leadsänger nach Jahren der Abwesenheit wieder durch Talkshows und Konzertsäle touren ließ.
Dann kam eine globale Pandemie dazwischen, begleitet von leeren Clubs und ungefilterter Angst vor der ungewissen Zukunft. Jake Shears‘ aktuelles Album „Last Man Dancing“ hätte in diesem Zeitraum in seinem überbordenen Optimismus und seiner lebensbejahenden Exzentrik verloren gewirkt.
„Last Man Dancing“ ist Musik für gefüllte Räume oder Menschen, die auch allein immer wieder an die Räume erinnert werden möchten, in denen sie sich ungehemmt nach außen kehren können. Aus diesem Grund dürfte Jake Shears bei Hörer*innen auch eben eine von zwei Emotionen auslösen.
Entweder der rastlose und energiegeladene Sound der intensiven Disco-Tracks wie „Radio Eyes“ und „Mess Of Me“ überfordert die Hörer*innen heillos, löst in ihnen das Bedürfnis nach Ruhe, Ordnung oder jedenfalls Atempausen aus.
Oder Shears‘ authentische Theatralik räsoniert mit ihnen und lässt sie über 12 Songs hinweg mit dem selbst formulierten Anspruch Shears‘ konkurrieren – „Last Man Dancing“. Im Alltag taugt das ganze Album dafür, das eigene Workout oder auch nur einen Spaziergang mit etwas Theatralik zu versorgen.
Drama, Pathos und eingängige Disco-Rhythmen wirken wie gemacht für TikToks undurchschaubare Algorithmen. Endlos zerstückel- und zitierbare Abschnitte fordern geradezu dazu auf, den passenden Tanz dazu zu entwickeln.
Wer weiß, vielleicht hat der Sound von Jake Shears in diesem Jahrzehnt endgültig sein Zuhause gefunden. Nach goldenen Zwanzigern und unbändigem Hedonismus klingt es auf jeden Fall.