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A Certain Ratio – 1982

Nicht täuschen lassen: A Certain Ratio’s „1982“ strahlt mehr Retrofuturismus als Retrospektive aus. Dabei hätte das Jahr als historisch-kulturelle Kreativbaustelle durchaus seine Reize.

1982 erscheint Steven Spielbergs „E.T. – Der Außerirdische“, Italien wird Fußball-Weltmeister und Helmut Kohl Kanzler. Michael Jackson veröffentlicht mit „Thriller“ das meistverkaufte Album der Musikgeschichte und die ersten europäischen Länder beschließen mit dem Schengen-Abkommen erstmalig Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen.

All das steht jedoch im Schatten des Falklandkrieges zwischen Argentinien und Großbritannien, der im April 1982 ausbricht und den Kalten Krieg zwischen Ost und West erneut anheizt, weshalb die USA nukleare Mittelstreckenraketen in Europa stationieren.

Doch selbst bei der losesten Interpretation des neunten Albums der Band aus Manchester, klingt davon so gut wie nichts an. A Certain Ratio lassen in Songs wie „Tier 3“ lieber unbekümmert die Flöten zwitschern.

A Certain Ratio selbst, gegründet 1977, sind 1982 bei ihrem dritten Album „Sextet“ angelangt und noch immer in einer Art Findungsphase bei Factory. Das Label beherbergte damals die ganz Großen des Post-Punk, allen voran Joy Division und New Order, weshalb auch A Certain Ratio in diese Schublade gepresst werden.

Dass ihnen dieses Etikett viel zu klein ist, wird im weiteren Verlauf ihrer Karriere immer deutlicher und passt für „1982“ überhaupt nicht mehr. Interessanterweise greift eine popkulturelle Randnotiz von 1982 noch am ehesten. Kraftwerks bereits 1978 erschienener Song „Das Model“ wird vier Jahre später mit der englischen Version ein internationaler Erfolg.

Könnten Kraftwerk ihre Mensch-Maschine mit einer Funk-Maschine kurzschließen, würde unten vermutlich der Titelsong dieser Platte heraus klappen. Hier spiegelt sich das retrofuturistische Ethos der Band unterm Brennglas, das vor allem durch eine genre-sprengende Aufgeschlossenheit glänzt. Wie selbstverständlich steht ein solcher Song neben dem loungig-jazzigen „Ballad of ACR“.

Die unvorhersehbare Multidimensionalität dieser Platte gleicht dann jedes Mal einem Multivitamin-Cocktail aus brennenden Afrobeats, bewusstseins-schmelzenden Jazz-Breakdowns oder stimmungsvollen, elektronischen Experimenten, mit Pop-Hooks und Tanzrhythmen garniert – aber jederzeit als Geschmackssache verkauft.

Ein Beispiel: In „Holy Smoke“ sind Bläser und Cowbell so funky, dass sich Herz-Rhythmusstörungen entweder völlig erledigt haben, oder der Defibrillator überhaupt erst notwendig wird. Fun Fact am Rande: 1982 wurde von einem gewissen Robert Jarvik das erste künstliche Herz entwickelt.

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