Robert Smith von The Cure sollte einen Ratgeber schreiben. Und zwar zu dem Thema: Wie altert man in Würde? Auch wenn das beim Anblick des 63-Jährigen sicher nicht die erste Assoziation ist, die man hegt.

Während Smith nach minutenlangem Donnergrollen, das von stroboskopigen Blitzen verstärkt wurde, zum Opener „Closer“ endlich die Bühne betritt und das gebührend auskostet, in dem er mit vor dem Bauch gefalteten Händen langsam und bedächtig jeden Meter abschreitet und in die Menge lächelt, sieht er dabei genau so aus, wie man ihn sich vorgestellt hat:

Ein bisschen wie ein zerknittertes Blatt Papier, das man ohne Umschlag in der Tasche vergessen hat. Obwohl die wirren Haare, mittlerweile deutlich angegraut, die roten Lippen und die aufgemalten Augenringe auch einen gewissen Vogelscheuchen-Charme versprühen.

Aber dann – diese Stimme. Dermaßen klar und durchdringend, dass man ihr die über 40-jährige Karriere in keinster Weise (sic!) anhört. Und es ist für Robert Smith kein Problem, diese Qualität für ausgiebige 165 Minuten lang zu halten.

Mit „Pictures Of You“ gibt es einen großen Hit direkt als zweiten Song. Ansonsten sparen sich The Cure ihre Lieblinge größtenteils für den späteren Teil des Abends auf. Dafür haben die Briten aber auch ein paar neue Songs im Gepäck, die sich angenehm organisch in das Set einreihen.

Der atmosphärische Opener „Alone“ oder das eher düstere „A Fragile Thing“ wecken große Vorfreude auf das, was hoffentlich demnächst von The Cure auf Platte gepresst wird.

Dass es das nach „nur“ 17 Songs noch nicht gewesen sein kann, ist eigentlich allen klar. Passenderweise geht es nach einem kurzen Abgang, den der Roadie nutzt, um die Instrumente noch etwas zu optimieren, mit „I Can Never Say Goodbye“ weiter. Dieser emotionale Moment läutet die beiden Zugabenblöcke ein, die das reinste Feuerwerk sind.

Und so erlaubt Robert Smith, der sich den restlichen Abend bedeckt hält und sich dafür mit einem kurzen „Es tut mir leid, dass ich so wenig rede, aber das ist besser so“ entschuldigt, sogar einen kleinen Witz: Mit der Akustik-Gitarre um den Hals kündigt er einen neuen Song an: „Der heißt ‚Tuesday’s gray’“.

Nach dem berühmten Intro ist auch bei den letzten der Groschen gefallen und so bringt „Friday, I’m In Love“ die Schrittzähler-Apps aller Smartphones zum Explodieren. Denn es wird kollektiv getanzt.

Auch die Zuschauer*innen auf den Rängen hält es schon längst nicht mehr auf ihren Sitzplätzen. Und statt sich bei diesem Hit in angenehmer Mittellage zu vergnügen, steuert Smith auch noch im zweiten Zugabenblock zielsicher die hohen Melodiebögen an und landet kein einziges Mal daneben.

Zu „Close To Me“ schnappt er sich das Mikro, tänzelt leichtfüßig zum Bühnenrand und schenkt den Zuschauer*innen zu lautmalerischen Spielereien ein herzliches Lächeln. Was für ein unglaublich sympathischer Typ.

Und als hätte das nicht schon genügt, beenden The Cure ihr Konzert mit dem Trio „In Between Days“, „Just Like Heaven“ und „Boys Don’t Cry“. Und wenn sich dazu Männer voller Freude in die Arme fallen, ihre Träne im Knopfloch gar nicht mehr verstecken wollen und dazu tanzen, als gäbe es kein Morgen mehr, dann ist die Welt an diesem Dienstagabend irgendwie für 165 Minuten in Ordnung.

Die leuchtenden Gesichter der Besucher*innen sind Zeugen. Von wegen, „Tuesday’s gray“. Tuesday’s great. Zumindest dieser.

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