Eine meiner ältestes Kindheitserinnerungen ist die eine Verkäuferin an der Wursttheke. Sie hat meiner Mutter gefühlt stundenlang den neuesten Tratsch erzählt, bevor ich dann als Kind zur Belohnung eine Scheibe Wurst, meistens Salami, bekommen habe. Nettes Belohnungsprinzip. Aber ähnlich viel zu erzählen wie die Metzgereifachverkäuferin hat auch L.A. Salami.
Und jetzt überlegt mal, wie mir diese Kindheitserinnerung wohl wieder in den Sinn kam ? Damit hört es sich dann aber auf mit dem Gemeinsamkeiten. Lookman Adekunle Salami stammt aus London, ist dort in Pflegefamilien aufgewachsen und konnte sich schon früh für Filme begeistern. Sein musikalisches Erwachen erlebte er mit Bob Dylan, kaufte sich mit 21 eine Gitarre und begab sich auf die Spuren der Folkmusik.
Neun Jahre später liegt mit „Ottoline“ der bereits vierte Longplayer vor, welcher den im Vorgängeralbum „The Cause Of Doubt & A Reason To Have Faith“ eingeschlagenen Weg der Vielseitigkeit fortsetzt. Die Folkwurzeln hinter sich lassend, finden sich auf dem neuen Werk, Einflüsse von Soulmusik über R&B bis hin zu Rapmusik.
Letzteres Stilmittel hat L.A. Salami wohl bewusst gewählt, um seine politisch motivierten textlastigen Zeilen schwadronieren zu können. Bestes Beispiel dafür „Desperate Times, Mediocre Measures„. Mit Pianosamples, Downtempo schlurfenden Beats und mehrstimmigen Refrain begeistert die Vorabsingle mit atemlosen Sprechgesang.
Tiefgreifende Gedanken über die Machtverhältnisse auf Erden und die damit verbundene Machtlosigkeit lassen nur einen Schluss zu, die Liebe soll wieder Einkehr halten ins Handeln der Menschen. Sein politisches Gedankengut teilt Lookman Adekunle mit uns, fühlt sich aber auch im Storytelling sehr wohl. Das schwofende „The Full Form“ oder „In Honour Of The Street Lights“, welches den klanglichen Kniefall vor L.A. Salami’s Folk-Ikone übt, erzählen sympathische Geschichten eines Außenseiters.
Geradezu meisterlich ist L.A. Salami, wenn er in den Untiefen der Gesellschaftskritik taucht. Die „Systemic Pandemic“ etwa sucht nach der Perle der Liebe und wird dabei zum Pamphlet gegen den Kapitalismus. Musikalisch hingegen weniger aufgekratzt findet man sich in einem seichten, souligen mundharmonikaverzierten Titel wieder. Sanft wogende Beats mit Piano oder Streicherhintergrund sind der rote Teppich auf welchen sich Lookman Adekunle besonders wohl fühlt.
Die Worte auf „Peace Is Fine“ oder „Peace Of Mind“ sprudeln nur so aus ihm heraus und werden für jeden Hörer mit ADHS Syndrom zur unmöglich meisternden Herausforderung. „Minus His Woman ( Redux )“ beschwört mit trägen, hippiesken Klängen die Düfte der Frau und betört trötend die „Lady Winter“.
Auf der Suche nach weiteren Einflüssen wird man bei „As Before“ fündig. Fein ziselieren sich Piano und Bläser zu wohliger Soulmusik, welches an die ruhigen Momente von Isaac Hayes erinnert. Harmonisch stimmungsvoll fügen sich über Gitarrensaiten streichende Finger und L.A. Salamis Sprechgesang ein.
Die Pandemie scheint Lookman Adekunle Salami viel Zeit zum Nachdenken geschenkt zu haben. Seine tiefschürfenden Gedanken, Beobachtungen und Erlebnisse fügt er in teilweise abstrakten, verschachtelten Texten zusammen. Dem Sprechgesang zu Gute kommt die zurückgelehnte Haltung der Musik, welche sich feingliedrig zwischen die Wortakrobatik einfindet.
Seine Basis im Soul findend, macht man sich aber auch mit modernen Stilmitteln wie Hip-Hop vertraut. Das geht erstaunlich gut auf, auch wenn „Ottoline“ alles andere als kurzweilig unterhaltend ist. Und dennoch ist das Stück Salami bei weitem nicht so hart „verdient“, wie jenes aus meiner Kindheit.