Gwenno Saunders hat es geschafft: Mit ihrem zweiten Album „Le Kov“ von 2018 hat die walisische Musikerin erfolgreich internationale Augen auf ihre eigene Kultur gezogen und ihr neues Leben eingehaucht.

Die Platte war fast komplett in der kornischen Sprache gehalten, die am südwestlichen Zipfel Großbritanniens von immer weniger Menschen gesprochen wird. Dem Walisischen und Bretonischen recht ähnlich, schaffte der Erfolg von „Le Kov“ Aufmerksamkeit für die keltische Sprache: Etwa erfuhren dadurch kornische Sprachkurse einen Teilnahmeanstieg von 15%.

Grund genug also, um dort anzusetzen und einfach weiterzumachen. Auch das neue Album „Tresor“ ist fast nur auf Kornisch und setzt sich nicht nur äußerlich, sondern thematisch mit der Kultur in und um Cornwall auseinander – Sprache bildet schließlich Identität und, wenn man es weiter spinnt, Realität.

Der Fokus liegt dabei, anders als auf dem Vorgänger und dem 2015er Debütalbum „Y Dydd Olaf„, nicht auf externen Mächten und Instanzen, nicht auf Isolation in der digitalen Welt oder dem Konzept Heimat im globalen Kontext, sondern auf dem Individuum und den eigenen inneren Mechanismen.

Es geht um den eigenen Platz in der Welt, um schwer greifbare Gefühle und Sehnsüchte im Unterbewusstsein, um das Dasein als Mutter und die oft behandelte, jedoch noch nie zufriedenstellend abgeschlossene Suche nach dem eigenen Ich.

Als Nicht-Kenner der Sprache bekommt man von den Thematiken natürlich nur schwerlich etwas mit: Selbst der Albumtitel hat nichts mit Tresoren zu tun, sondern bedeutet übersetzt „Schatz“. Allerdings ist „Tresor“ ebenfalls nicht zu verschmähen, wenn man sich nur auf die Musik stützen kann.

Denn die ist genauso vielschichtig und tiefgreifend wie die Lyrics es sind: die Musikerin hält weiterhin an der spannenden Gratwanderung zwischen subtilem Indie-Pop und unkonventionellem Freak-Folk fest. Zusätzlich entdeckt Saunders psychedelische Ansätze für sich.

Weniger Beach House, mehr Retro: Wie ein Stück lässiger, verruchter 60s-Pop wirkt etwa der Titeltrack mit seinem eiskalten Groove und den Synth-Streichern. „Anima“ ist dafür ein simpler Psych-Track, der auf den ersten Blick unaufgeregt vor sich hin plätschert, mit seinen hypnotischen Melodien jedoch schnell verzaubert.

Danach entpuppt sich „Tresor“ allerdings als unzugänglichstes der drei Gwenno-Alben, denn zwischen den poppigen Sequenzen schieben sich düstere Wave-Momente, kurze Post-Punk-Ausflüge und wie in „Men An Toll“ manchmal einfach nur synthetische Soundfetzen, die sich unaufhaltsam ins Hirn bohren.

Und auch wenn Saunders weiterhin nicht den Weg des massentauglichen Allerwelts-Pop wählt, um ihre Muttersprache in die Welt zu bringen, so ist sicher, dass „Tresor“ mit seinen komplex und bedacht aufgetürmten Songs viel Anerkennung für die künstlerische Leistung einheimsen wird.

Es fasziniert, die Sängerin beim Entdecken und Erkunden der eigenen Identität durch musische Mittel zu begleiten und die Entwicklungen direkt im Gehörgang mitzuerleben – auch ohne Kornisch sprechen zu können.

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