Im Co-working Space wird es dunkel und ruhig – das Licht geht aus, es brummen in der Ferne nur der Kühlschrank und die Kaffeemaschine. Alle sind in ihren Feierabend gegangen, um sich auf den Straßen zwischen Clubs und Bars herumzuschlagen. In der Ferne ist der Bass und das Geschnatter zu hören. Alle habe kurzzeitig den Arbeitsalltag verlassen – alle bis auf einen. Zwischen roten Standby-Punkten, im bläulichen Schein eines Computerbildschirms sitzt Arndt und schlägt sich die Nacht um die Ohren. Was macht er hier noch?
Linus Kleinlosen und Luis Schwamm, auch besser bekannt als die Band Noth, hatten sich 2020 kaum kennengelernt, trafen sie auch zum ersten Mal auf Arndt, dessen Geschichte sie seitdem als musikalisches Werk vertonen. So entstanden in den letzten Jahren zehn Songs für ihr Debütalbum “Die Wahrheit über Arndt”, das nun erschienen ist.
Biografisches Musical oder gesungene Biografie, Charakter- oder Milieustudie, psychotische Office-Operette, akustische Road-Novel – am Ende trifft auf jeden Song mindestens eine dieser Beschreibungen zu und jeder ist eine eigenständige Anekdote aus dem Leben von Arndt.
Der melancholische Opener “Zoo” beschreibt die gleichnamige Lokation bis ins kleinste Detail und man kann sich die Geschichte im inneren Auge vorstellen. Dort trifft man auch das erste Mal auf Arndt, der die ganze Szenerie – von Luftballonverkäufer bis Kapuzieneräffchen – genau beobachtet und beschreibt.
Es sind schöne Momente, die dennoch Tristesse beinhalten, denn Arndt reflektiert sein Leben – von Gold und Porzellan, Stuckdecken im Altbau und “sein wohlgekämmtes Haar”. Alle sind im Zoo glücklich, doch nur er ist in diesem Glück nicht integriert und fühlt sich am Ende wie ein Tier, das hinter einer Glasscheibe sitzt und beobachtet wird.
“Nimm die Arbeit nicht zu ernst, gönn‘ dir auch mal eine Pause. Nimm dir ’ne gut gekühlte Brause und setz dich zu uns” erklingt es beim zweiten Track “Nur Zu”. Es sind die Tipps, die der Protagonist Arndt von seinen Kollegen im Büro bekommt. Es sind die Versuche seiner Kollegen, ihn in das Team zu integrieren und ihn von seiner Lethargie zu befreien.
Mit einer musikalischen Untermalung zwischen Folk, Avantgarde-Pop und Jazz ist “Die Wahrheit über Arndt” nicht nur etwas für Literaten, sondern auch für Liebhaber durchdachter musikalischer Arrangements. Das Konzeptalbum ist zurück.
“Anita” erzählt uns die sehnsüchtige Geschichte, wie Arndt während seine Erasmus-Austausches in Malaga auf die Schönheit Anita traf, mit ihr zusammen kam und mit jedem Tag trauriger wurde, denn er wusste, dass die heilen Tage in Andalusien nicht für immer waren und er eines Tages Abschied nehmen musste. Doch die Sehnsucht ist in Arndt so groß, dass er versucht, sein ganzes Geld zu sparen, um Anita eines Tages in Frankfurt einzusammeln und das gemeinsame Lotterleben in Andalusien fortzusetzen zu können.
Auch “Mucksmäuschenstill”, “Sichere Seite” und “Geburtstag” legen die Einsamkeit, Tristesse, Resignation und Traurigkeit von Arndt offen. Doch “Fucking Vorurteile” springt allen Songs auf “Die Wahrheit über Arndt” kurz vor Schluss ins Wort.
“Ich kenne Arndt seit ’ner Ewigkeit und du seit ner kurzen Zeit. Es ist sicher nicht so leicht in jeder Winzigkeit das ganze Bild zu sehen.” – diesmal singt Robin Damm über ihre Erlebnisse mit Arndt und nimmt ihn hörbar in Schutz. Dabei bezieht sie sich aber nicht nur auf die vorherigen Texte von Linus Kleinlosen und Luis Schwamm, sondern gefühlt auch auf die Gedanken, die der Hörer über die Lieder hinweg entwickelt.
Doch die Traurigkeit holt einen bei “In der Luft” und dem abschließenden “Waldbad” wieder ein, als die Geschichte von Arndt immer weiter aus den Fugen gerät, bis diese am Ende ein vorzeitiges Ende nimmt.
Das Debütalbum “Die Wahrheit über Arndt” ist eigen, aber auch einzigartig – selten hört man ein solch emotionales Werk, das die Gedanken der Hörer erreicht.