Die Stimmung am gestrigen Dienstagabend ist feierlich und mutet spirituell an, was nicht nur an der Kölner Kulturkirche liegt: Vielmehr knistert die Luft wohlig warm in Erwartung an einen Abend mit Julien Baker.
Statt ungemütlichen Sitzbänken und Gebetsrunden wartet die Menge im Gotteshaus geduldig auf die Musikerin, die mit ihren Songs weniger biblische, sondern eher menschliche Geschichten erzählt. Es geht um persönliche Abgründe, Hoffnung, Erlösung und das Zurückfinden zu sich selbst.
Doch wer die Julien Baker erwartet, die die Welt noch vor einigen Jahren bespielte, wird überrascht sein. Denn der ergreifende Minimalismus, den die Sängerin in ihrem entschleunigten Indie-Pop nur mit Gitarre und Klavier zauberte, spielt zunächst nur eine Nebenrolle.
Was ist passiert? Zuerst einmal das aktuelle Album „Little Oblivions„, auf dem Baker noch mehr als zuvor mit ganzen Bandkonstellationen experimentiert und den Songs die handfeste Grandiosität gibt, die zuvor nur in der umwerfenden Emotionalität impliziert war.
An diesem Abend kommt ein weiterer Aspekt dazu: In der Kirche ist die Akustik erwartbar hallig, weswegen sich die herzlichen Singer/Songwriter-Songs in wahre Shoegaze-Giganten verwandeln.
Angefangen mit dem ersten Song „Hardline“, der auch das aktuelle dritte Album eröffnet: Die nostalgisch anmutenden Synths im Intro schwingen sich in vernebelte Dream-Pop-Gefilde hoch, die einsetzende Band bringt die Steinwände endgültig zum Wackeln.
Die Sängerin wirkt konzentriert, sogar ein wenig angespannt. Erst nach dem dritten Song wirft sie einen kurzen Blick in die Menge und säuselt ein Dankeschön ins Mikrofon.
Ein potenzieller Grund ist die Tatsache, dass es die erste Europa-Tour mit voller Band ist und Baker sich möglicherweise noch nicht gänzlich in den vergleichsweise frischen Songs fallen zu lassen vermag.
Das Publikum verzeiht es ihr nicht nur bereitwillig, sondern übernimmt das Schwelgen für sie und lauscht äußerst aufmerksam: Zwischen den Songs herrscht eine freudig erwartende Totenstille, so dass das Stimmen der Instrumente auch noch am anderen Ende der Kirche zu hören ist.
Eine Handvoll neuer Songs lässt die Musikerin mit ihrer vierköpfigen Kombo durch den Raum donnern, bis die Mitmusiker*innen leise die Bühne verlassen. Nur noch Baker steht mit ihrer Gitarre im Rampenlicht und es ist förmlich zu spüren, wie ihre Anspannung wegschmilzt.
Zur Stille nach einem tosenden Applaus merkt sie vergnügt an, dass sie für ihre Ansagen eigentlich kein Mikro bräuchte – was tatsächlich stimmt, denn die Akustik der Kirche ist weiterhin auf ihrer Seite.
Allerdings gibt sich die US-Amerikanerin auch nach wie vor zurückhaltend, redet leise, bedankt und entschuldigt sich häufig. Dennoch fühlt sie sich mit ihren Solo-Songs sichtlich wohl und geht mit alten Stücken wie dem Titeltrack des 2016er Debütalbums „Sprained Ankle„, aber auch mit der Klavierballade „Song In E“ von „Little Oblivions“ sichtlich auf.
Als die Band für die letzten Songs der Setlist zurück auf die Bühne schleicht, zeigt Baker sich gefestigt und veranschaulicht leidenschaftlich umherspringend, wie sie als Rockmusikerin klingen würde.
Die Gitarren kreischen hallig, die Band wuchtet ihr mit Lautstärke ins Kreuz, und als das letzte ohrenbetäubende Stampfen des Schlagzeugs verklingt, ist klar: Julien Baker sorgte gestern dafür, dass in dieser Kirche spirituelle Erleuchtungen nicht nur sonntags geschehen.