Aracde Fire sind die Indie-Darlings der 00er Jahre. Und so sehr sie in dieser Dekade gefeiert werden, so wenig werden sie im Jahrzehnt darauf ihrem eigenen Anspruch gerecht.
Mit zu viel ABBA-Imitationen sind die Kanadier 2017 mit „Everything Now“ gar zu einem Leidwesen mutiert, das nicht nur bessere Zeiten gesehen, sondern auch den Absprung verpasst hat. Vom Glanz von „Funeral“ und „Neon Bible“ ist nichts mehr geblieben.
Jetzt soll es Radiohead-Stammproduzent Nigel Godrich richten und der Band auf ihrem sechsten Album zu alter Form verhelfen. Und tatsächlich wirkt es, als hätte Godrich zunächst das Chaos beseitigt und den überfüllten Sound in Richtung Travis und Radiohead angepasst. Das steht Arcade Fire allemal besser als die lächerlichen Funk-Verrenkungen auf den Vorgängern.
Im vierteiligen “End Of The Empire” dominiert dann auch akkurat der Brit-Pop, der an manchen Stellen mit Theatralik und Streichern abgestrebt wird. Denn groß darf es bei Arcade Fire noch immer sein, erst Recht da, wo die Melodie kurzzeitig in Richtung Ozzy Osbournes „Dreamer“ abbiegt.
Mit zehn Minuten zementieren Win Butler & Co. hier ihre Andersartigkeit und das Selbstverständnis einer orchestralen Indie-Rock-Band, die keine Probleme damit hat, zwischendurch nach Disney-Soundtrack zu klingen. Keine Probleme, willenlos durch die Genres zu tanzen, ohne dass auch nur irgendwer mit kultureller Aneignung drohen würde.
Party-Folk in “Unconditional I (Lookout Kid)”, Electropop in “Age Of Anxiety II (Rabbit Hole)” und verdammt viele Songs mit Klammern im Titel. Ein Zeichen für den Kontext, der mindestens so groß gedacht wird wie die Musik.
„WE“! Noch plakativer geht es kaum. Inspiration dafür fand Win Butler im Science-Fiction-Roman “Wir” des russischen Autors Yevgeny Zmyati, der wiederum als Blaupause für Huxley und Orwell gilt.
Die Dystopien solch literarischer Meisterwerke dampft Butler auf Albumlänge ein und träumt dann heimlich davon, auch mal Stoff im nächsten philosophisch-soziologischen Proseminar zu werden. Darunter machen es Arcade Fire nicht mehr. Selbst die Plattenseiten sind nicht in A und B unterteilt, sondern in I und WE.
Wer’s gerne eine Indie-Nummer kleiner hat, wird die Band auch mit „WE“ nicht vermissen, wer „The Suburbs“ als großes Konzeptwerk schätzt, kann hier noch länger nach Querverweisen stöbern.