Wer kurz über den Titeltrack „the future is here but it feels kinda like the past“ dieses Albums nachdenkt, wird mit wenig Wohlwollen feststellen, dass da durchaus etwas dran ist an Annie Hamiltons Analyse.

Aber: Ein wenig Gegenwartsverdrossenheit hat bisher noch nie geschadet und gehört bei vielen Musiker*innen auch durchaus zum guten Ton. Sollte man bei Hamilton trotzdem mal genauer hinhören? Und wer ist diese Musikerin überhaupt?

Besonders aufmerksame Indie-Fans könnten durchaus schon mal von der Australierin gehört haben, die zuvor als Sängerin des Duos Little May in Erscheinung getreten war. Für die allermeisten ist Hamilton aber das, was man 2022 schon fast für einen Mythos hält: ein absoluter Geheimtipp.

Und weil das Gefühl, eine wirklich gute Künstlerin mit Streams im vierstelligen Bereich zu entdecken, einfach unschlagbar ist, hört man die 11 Tracks ihrer neuen Platte gleich noch interessierter.

Und tatsächlich, in dieser Platte stecken so viele Delikatessen der feinsten Singer/Songwriter-Kunst, dass es für Connaisseure eine wahre Freude ist. Dabei ist „the future is here but it feels kinda like the past“ vor allem eine Platte der kleinen Momente.

Wenn etwa ein spannend zerfaserter Chor-Reigen das Finale von „Pieces Of You“ einleitet, die vielen Sound-Schichten von „Bad Trip“ plötzlich ganz mitreißend ineinander fließen oder die Stimmen in „Night Off“ melancholisch gedoppelt werden, springt das Herz direkt etwas höher.

Auch im Referenz-Zirkus vollführt Hamilton eine echte Glanzleistung. Denn unter dem Deckmantel einer gewissen Schwermut lassen sich ganz unterschiedliche Stile ausmachen:

Im Opener „Providence Portal“ bricht Hamiltons Stimme noch wie Adrianne Lenker, während die Stimmfarbe eher an Julien Baker erinnert. „Exist“ klingt dann mit Streichern und elektrischem Drive nach einer Tegan-And-Sara-Reinkarnation. Und für „Labyrinth“ scheint eine lässige Björk Patin zu sein.

Am Ende ist „the future is here but it feels kinda like the past“ ein geschmackvolles Kleinod, das sicherlich keine großen Runden drehen wird, aber dafür umso mehr mitreißen kann.

Ob man sich nun im Klimax von „All The Doors Inside My Home Are Slamming Into One Another“ mit Hamilton „I don’t love you anymore“ entgegenruft oder im zerbrechlichen Indie-Rock von „Again“ am Satz „I need to be on my own“ festhält – die Songs bieten immer die passende Oberfläche für die emotionalen Ausbrüche.

Und dann ist die Gegenwart ja doch ganz erträglich.

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