Das Cover von „Warm Chris“ besticht durch Unschärfe. Lichtreflexe verschleiern die Details und so kann man sich nicht so ganz sicher sein, mit welchem Ausdruck einem Aldous Harding in ihrer überdimensionalen Jacke entgegenblickt. Wenig könnte als Artwork passender sein, denn auf „Warm Chris“ zeigt sich die Neuseeländerin gänzlich unentschieden – und das im bestmöglichen Sinne.
Disney-Prinzessin wider Willen, lässige Slacker-Queen, naives Pop-Sternchen oder doch schüchterne Herzensbrecherin? Gefühlt ist Aldous Harding auf „Warm Chris“ all‘ das in einer Person.
Zum Glück muss man sich als Zuhörer*in nicht entscheiden, was einem davon am besten gefällt, sondern kann sich von den verschiedenen Facetten in ein Universum aus Zwischentönen und abstruser Nuancen entführen lassen, in dem Abnormitäten nicht gerade geschliffen, sondern hofiert werden.
Aldous Harding hat schlichtweg ein magisches Händchen. „Ennui“ wäre aus anderer Feder stammend vielleicht einfach nur ein optimistischer Folk-Song geworden, der im Ohr kleben bleibt, aber nicht für hochgezogene Augenbrauen sorgt.
Stattdessen nehmen nicht nur die Harmonien des Openers gerne den ein oder anderen Umweg. Auch mit dem Saxophon, das gegen Ende einen überraschenden Auftritt hat und nach seiner unaufgeregten Melodie kurz übersteuert, während Harding mehr rezitiert als singt, schlägt der Song unerwartete Haken.
Nur einige Sekunden später vertieft sich Harding in „Tick Tock“ in ein Zwiegespräch mit sich selbst. Man kann kaum glauben, dass die lieblich säuselnde Stimme im Refrain dieselbe ist, die während der Strophe in abgeklärter Slacker-Manier Erinnerungen an ihre Übersee-Nachbarin Courtney Barnett weckt.
„She’ll Be Coming Round The Mountain“ hingegen könnte nicht nur dank seines melancholischen Klavier-Intros der Titelsong zum nächsten Disneyfilm sein. Obwohl das eine äußerst vielschichtige Protagonistin erfordern würde, denn auch hier überrascht Harding wieder nicht nur in Sachen Melodie, sondern kombiniert starke Temposchwankungen, denen man gerne selbst auf die Sprünge helfen würden, mit ungewöhnlichen Instrumenten-Pärchen.
Aldous Harding war schon immer schwer in Schubladen zu stecken oder zu fassen. Mit „Warm Chris“ jedoch schraubt sie ihren Aggregatzustand einmal mehr in Richtung gasförmig.