Das war definitiv eine sehr emotionale Reise – Gang Of Youths im Interview

Mit „Angel In Realtime“ präsentieren Gang Of Youths ein intimes Konzeptalbum rund um Tod, Verlust und Kummer. In den Lyrics verarbeitet Frontmann David Le’aupepe dabei den Tod seines Vaters, doch der zugehörige Sound ist alles andere als erwartbar. Wieso die Band auch in einer so dunklen Zeit Hoffnung verbreiten möchte, welche Rolle die samoanische Herkunft von Le’aupepe für den Sound spielte und was die Band anders als zuvor machte, erzählt uns Multi-Instumentalist Tom Hobden.

MusikBlog: Euer neues Album „Angel In Realtime“ erscheint ja schon diese Woche. Bist du aufgeregt?

Tom Hobden: Ja, ich bin total aufgeregt. So viele Jahre der harten Arbeit und der Tüftelei sind in diese Platte geflossen. Wir haben aber auch noch so viel vorzubereiten, da wir ja auch bald schon auf Tour gehen. Wir müssen uns da wirklich mal bewusst Zeit für die Zelebrierung nehmen, um diesen besonderen Moment wertzuschätzen.

MusikBlog: Das muss natürlich auch sein. Das Album ist ja sehr persönlich, da es in den Lyrics vor allem um den Tod von Daves Vater geht. Wie war denn das Gefühl bei euch in der Band, solche sehr intimen Stücke gemeinsam zu schreiben?

Tom Hobden: Das war definitiv eine sehr emotionale Reise. Wir wussten von Tag eins der Aufnahmen, dass Dave gerne über dieses Thema singen möchte. Der Prozess dahinter war aber eher ungewöhnlich. Wir sind das Album quasi andersherum angegangen. Zuerst haben wir die instrumentalen Flächen erzeugt, also diese experimentierfreudigen Sounds und Texturen. Und dann kam Dave erst an Bord und hat aus diesen ersten Skizzen einen Song gewebt.

MusikBlog: Warum denn dieser umgekehrte Prozess?

Tom Hobden: Wir haben uns im Nachgang auch gefragt, warum wir das so gemacht haben. Ich glaube, es war allen schon im Voraus bewusst, dass der musikalische Rahmen dafür da ist, dass Dave seinen thematischen Beitrag dazu geben kann. Es gab dabei auch keine klare Zuweisung von Instrumenten an eine bestimmte Person. Jeder steuerte seine eigenen Ideen dazu bei. Aber natürlich war die Aufgabe für Dave, auf dieser Basis Texte zu schreiben, auch keine leichte. Hinzu kommt noch, dass wir sehr lange gar keine klaren Melodien, sondern eher lose Strukturen vorliegen hatten. Erst in den letzten Momenten des Album-Prozesses sind die Songs daraus gewachsen. Vielleicht war es auch eine Form der Selbsterhaltung, denn natürlich hätte es die Songs völlig verändert, wenn wir die Lyrics von Anfang an gehabt hätten. Beim Songwriting hatte Dave natürlich auch viel Zeit, die Situation zu verarbeiten und dadurch hätten die Lyrics vielleicht am Ende gar nicht mehr gepasst.

MusikBlog: Dieser Hintergrund erklärt vielleicht auch, warum die Platte trotz des sonst sehr düsteren Themas wie Verlust und Tod doch auch sehr ermutigend und positiv klingt.

Tom Hobden: Das freut mich, dass es so bei dir ankommt. Ich glaube, genau das war Daves Intention. Welche Songs mich sowieso immer am meisten kriegen sind Up-Beat-Songs mit tiefgehenden, reflektierten und traurigen Lyrics. Das ist immer eine treffende Kombination. Dieses Zusammenkommen der beiden gegensätzlichen Gefühle macht für mich den perfekten Song aus.

MusikBlog: Gab es dabei denn auch eine klare Botschaft, die ihr euren Hörer*innen damit auf den Weg geben wolltet? Gerade in den letzten Jahren war es ja nicht so einfach für die meisten.

Tom Hobden: Auf jeden Fall. Daves Art des Songwritings beinhaltet immer eine gewisse Botschaft. Es ist ein wichtiger Teil von Gang of Youths, eine gewisse Positivität zu verbreiten. Wie du sagst, waren die letzten Jahre so schwierig für viele Menschen. Plötzlich waren über Nacht alle Pläne dahin und wir fragten uns, was wir nun machen sollen. In den letzten Jahren hatten wir vor allem das Gefühl dafür verloren, wann das Ganze enden wird. Alle Deadlines wurden immer wieder nach hinten verschoben, wodurch wir auch das Ziel etwas aus den Augen verloren haben. Natürlich hatten wir als Band in der Pandemie die Herausforderung, dass unser Tour-Business plötzlich auf Eis gelegt wurde. Aber dadurch haben wir auch so viel Zeit gehabt, das Album dorthin zu bringen, wo es hingehört. Das war also auch irgendwie ein Segen. Natürlich hat Covid wahrscheinlich auch seinen Einfluss auf den Sound und die Lyrics gehabt, aber darüber haben wir uns noch gar keine Gedanken gemacht. Aber die Zeit wird bestimmt zeigen, wo die Einflüsse hörbar werden.

MusikBlog: Wo du vorhin schon darüber gesprochen hast, dass ihr das Songwriting etwas anders als üblich angegangen seid – hattet ihr denn eine klare Strategie im Kopf, welche Sounds Teil der Platte werden sollen?

Tom Hobden: Ja, wir hatten auf jeden Fall im Kopf, dass wir bestimmte Genres und Sounds ehren wollten. Die Jungs kamen im Jahr vor der Pandemie alle aus Australien mit ihren Familien rüber nach London und haben sich dabei alle in britischer Musik fallen gelassen. Vor allem in diesen 90er-Manchester-Vibes. Dabei haben wir schnell mit Genres und Sounds wie Percussions experimentiert, zum Beispiel mit Break-Beats. Beim ganzen Experimentieren kamen wir auch auf die Idee, große Streicher im Sinne von Massive Attack auszuprobieren. Das ist alles schon so lange her, ich weiß schon gar nicht mehr, was wir alles gemacht haben. (lacht)

MusikBlog: Und das alles im eigenen Studio?

Tom Hobden: Ja, das alles in unserem eigenen Studio machen zu können, hat uns auf jeden Fall sehr geholfen. Wir haben den ganzen Label-Vorschuss schon sehr früh in teuren Londoner Studios ausgegeben, als wir definitiv noch nicht bereit waren. Deswegen waren wir dazu gezwungen, uns um unser eigenes Studio zu kümmern. Wir haben dort die ganze Platte selbst gemacht. Ich würde es so nicht nochmal machen wollen, Geld sparen ist gut. Aber trotzdem bin ich froh, dass wir es so gemacht haben.

MusikBlog: Kannst du dich denn noch an den Startpunkt erinnern, also den Moment, an dem ihr den ersten Song oder die erste Songskizze in den Händen hattet? Und wie lange dauerte es dann, bis ihr das Album im Kasten hattet?

Tom Hobden: Es waren definitiv Jahre. Die ersten Melodien und Skizzen hatten wir glaube ich vor vier oder fünf Jahren, damals als die anderen Bandmitglieder nach London gekommen sind. Da haben wir alle zusammen in einem Haus in Islington gelebt. „Angel In Realtime“ bezieht sich auf ganz unterschiedliche Dinge, unter anderem heißt das Viertel, in dem wir damals gewohnt haben „Angel Islington“. So viele Sachen kamen in diesem Haus zusammen. Doch dann dauerte es noch sehr lange, bis alles fertig war. Die allerletzten Lyrics wurden erst ein paar Stunden vor der Deadline des Labels aufgenommen. Das war im letzten Jahr im August.

MusikBlog: „Angel In Realtime“ dreht sich aber ja auch sehr viel um die Vorfahren, Wurzeln und Spiritualität von Dave. War das etwas, worüber ihr in dieser ganzen Zeit auch viel gesprochen habt?

Tom Hobden: Ja, das war auf jeden Fall ein sehr zentrales Element der Platte. Dave hat sich nach dem Tod seines Vaters viel mit dessen Vergangenheit auseinandergesetzt, in der es einige Lücken gab. Deswegen wollte Dave unbedingt die samoanische Herkunft seines Vaters näher erforschen. Dabei entwickelte er auch ein tiefes Interesse an der Musik dieser Gemeinschaften. Ein echter Wendepunkt geschah dann im Studio, als ein Produzent, mit dem wir gearbeitet haben, uns den ethnomusikologischen Komponisten David Fanshawe zeigte. Dadurch bekamen wir schließlich den Zugang zu einem beeindruckenden Archiv von Fanshawes Musik. Als wir die Frau und Tochter dieses Komponisten um Erlaubnis baten, einige dieser Stücke verwenden zu dürfen, meinten sie „Ja natürlich dürft ihr das. Dann erklären wir euch aber auch das Archiv genauer.“

MusikBlog: Das war also die Auflage?

Tom Hobden: Ja. (lacht) Im letzten Sommer war es dann so weit und wir durften einen ganzen Tag lang das Archiv erkunden. Für Dave war dieser bislang verborgene Schatz sehr bedeutungsvoll. Viele der Stücke sind noch nicht einmal digitalisiert. Wir haben mit der Familie eine Vereinbarung, dass die Einkünfte der Stücke, in denen die Samples genutzt werden, zum einen direkt an indigene Communities gehen und zum anderen darein fließen, das gesamte Archiv zu digitalisieren. David und seine Aufnahmen sind wirklich so etwas wie das Rückgrat des Albums. Viele Songs haben ihren Anfang bei diesen Samples genommen. Vor der Pandemie durften wir dann auch noch in Auckland mit dem Auckland Gospel Choir aufnehmen. Es war super inspirierend. Außerdem haben wir mit Shane McLean zusammengearbeitet, einem überragenden Taonga-Pūoro-Multi-Instrumentalisten.

MusikBlog: Diese Hintergründe haben den Sound des Albums auf jeden Fall sehr bereichert. Du warst ja selbst schon vorher bei anderen Bands tätig. Was war denn das Besondere bei Gang Of Youths?

Tom Hobden: Mit 18 Jahren wurde ich Teil von Noah And The Whale und blieb das auch acht Jahre lang. Dann ging ich fünf Jahre lang mit Mumford & Sons auf Tour. So lernte ich auch Gang Of Youths kennen. Sie eröffneten für Mumford & Sons nämlich in den USA und in der UK. In dieser ganzen Zeit haben wir uns sehr eng angefreundet. Am Ende der US-amerikanischen Tour erzählten sie mir, dass der zweite Gitarrist aufhören möchte und sie auf der Suche nach einem Ersatz sind, der am besten auch noch Streichinstrumente spielen kann. Sie meinten direkt „Mach doch einfach mit!“ und ich war natürlich auch direkt dabei.

MusikBlog: Das war Ende 2019?

Tom Hobden: Ja. Wer hätte damals geahnt, dass die ganze Welt drei Monate später stehen bleiben sollte? Dann sind wir direkt im Studio verschwunden. Bisher sind meine Erfahrungen mit der Band also rein auf das Songwriting beschränkt, aber das ändert sich ja bald. Doch sie sind einfach wunderbare Menschen, Dave ist so ein super inspirierender Frontmann. Die Band hat echt alle wichtige Zutaten. Bisher waren aber glücklicherweise alle Bands toll, bei denen ich mitmachen durfte.

MusikBlog: Dann muss es für dich ja besonders außergewöhnlich sein, endlich mit der Band auf Tour gehen zu können.

Tom Hobden: Ja sehr, vor allem weil wir mit der UK-Tour starten. Da ich von hier komme, kenne ich mich mit den Venues und Städten also bestens aus. Die anderen kennen hingegen viele Städte noch gar nicht. Das wird also spannend.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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