Alejandra Ghersi alias Arca überkommt die Hybris. Mit einem Tripple-Album erschlägt sie nicht nur im Umfang, sondern auch mit einer Überheblichkeit, die an der Zukunft ihres visionären Sounds kratzt. 

Produktionen für renommierte Künstler wie Björk oder Kanye West haben die in Venezuela geborene und inzwischen von New York nach London gezogene Künstlerin auf das große Bankett gezogen. Als Tochter eines wohlhabenden Investmentbankers verkehrte sie früh in jenen Kreisen, die Extravaganz, auch und vor allem in der Kunst, groß schreiben. 

Daraus hat sich Arca nicht nur ihre eigene Karriere gebastelt, sondern sich selbst als Medium erkannt und gilt deshalb vielen als Archetyp eines queeren und non-binären Künstlertypus.  

Mit der Fortsetzung ihres im vergangenen Jahr erschienenen Albums „KiCk i“, um die Folgen zwei, drei und vier, unterstreicht sie nun deutlich zu dick ihren Status, der vor allem visuell und viel zu wenig mit Inhalt polarisiert.  

Arca überzieht ihre Musik mit einer Sperrigkeit, die exaltierter kaum ausfallen könnte. Am Ende steht ein an Details überreiches, dafür an Statements umso ärmeres Gesamtwerk, beginnend beim Cover. Es könnte einem als dystopische Folterkammer inszenierten Ausstellungsraum in Körperwelten nahe kommen. Und schon für diese Ausstellung gilt: kann man hin, muss man aber nicht.

Für Arcas Triell des Dekonstruktivismus gilt Ähnliches. In ihrer Typografie spiegelt sich die cutting culture ihrer Musik. „ii“ und „iii“ sind stark von den populären, modernen Rhythmen Lateinamerikas wie Reggaeton und Cumbia geprägt und Ghersi singt primär auf Spanisch. Sie gefällt sich dabei im Zerfleddern und Zusammensetzen nach dem Zufallsprinzip. Struktur verboten.

Auch wenn vermeintlich diese Zielgruppe adressiert werden soll; für Fans von FKA twigs oder Ibeyi lässt sich der Drilling trotzdem nicht überschreiben. Aber für wen sonst ist die zerstückelte, im Grunde schwerst avantgardistische Kunst eigentlich gedacht? Für Fans von Die Antwoord mit höherem Bildungsabschluss? Oder als Roisin Murphy für Exoten? Lötkolben für Legastheniker?  

Die zerschossenen, bis zur Unkenntlichkeit zerstückelten Sprachfetzen sind mehr als hart in ihrer Widerspenstigkeit. Nach „Araña“ hat man mindestens einen Bluterguss im ohnehin zu dünnen Nervenkostüm, das pausenlos fragt: Wie sehr lässt sich Musik eigentlich entmenschlichen?

Wenn dann doch mal so etwas wie ein Song entsteht, wie etwa “Born Yesterday” ist er mit der Autotune-Stimme von Sia so sehr aus Plastik, es sollte Pfand darauf erhoben werden.

Auf der dritten Platte wechselt Arca dann ins Englische, die Songs hin zu weniger Beat und die Songtitel zu mehr Plakativität: “Whoresong”, “Xenomorphgirl”, “Witch”, “Queer” – und keiner hält was er verspricht.

Anstatt sich ernsthaft mit Geschlechter-Identität auseinander zu setzen, wird die eigene künstlerische Überlegenheit zelebriert. Für weniger Privilegierte gibt es nichts zu Hören. Da hilft auch nicht, dass Shirley Manson von Garbage auf dem apokalyptischen „Alien Inside“ Spoken Word intoniert. 

Aber sei’s drum: Am Triple-Album haben sich schon andere verhoben. Nur selten geht die Rechnung auf, wie etwa bei The Magnetic Fields mit “69 Love Songs”, George Harrison mit “All Things Mus Pass” oder Joanna Newsom mit “Have One on Me”. 

Bei Arca geht es schief, nicht krachend, sondern verstörend. Denn so sehr hier die Zukunft der Musik propagiert werden soll, so wenig wird sich selbige von der Brechstange der Dekonstruktion beeindrucken lassen. Letztlich sind drei Teile Power-Futurismus-Gothic-Darkness-Weltmusik-Aggro-Noise mindestens zwei zu viel.

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