Gleich zu Anfang: Wer befürchten sollte, dass Die Ärzte aus Berlin sich im Herbst ihrer Karriere nur noch verkopften Kreativ-Konzepten über Himmel und Hölle, Gut und Böse, „Hell“ und „Dunkel“ widmen, der sei beruhigt: Nur die Namen der beiden Alben von 2020 respektive 2021 hängen zusammen und verbinden die Platten lose.

Denn nach der langen Albumpause seit „Auch“ von 2012 hatte das Trio wohl doch einfach mehr zu sagen als das einstündige „Hell“ vom vergangenen Jahr. Hinzu kommt noch eine globale Pandemie, in der man massig Zeit zum Totschlagen hat – und schon hat man mit „Dunkel“ 19 weitere Songs der selbst ernannten „besten Band der Welt“.

An dieser Stelle noch einmal der Hinweis: Befürchtungen zur Neuerfindung von Die Ärzte aufgrund der Nomenklatur der Alben werden nicht bestätigt: Die Ärzte tun auch hier weiterhin, was Die Ärzte am besten tun.

Mit dem Opener „KFM“ etwa, kurz für „Karnickelfickmusik“, knallen Farin Urlaub, Bela B und Rod González mit einem heftigen Melodycore-Brett los. Der Titeltrack ist eine weitere Meisterleistung von Crooner-King Bela B, der seinen sexy tanzbaren New Wave liebt.

Nach wie vor sind Gegen-alles-Sein („Anti“), Liebe und Herzschmerz („Danach“) und vor allem die Positionierung gegen Nazis („Doof“) wichtige Themen für die Musiker, noch immer beherrschen die Berliner die Gratwanderung zwischen absurdem Humor, ehrbarer politischer Haltung und Emotionalität, die man ihnen tatsächlich noch viel eher abkauft als so manchen Szene-Jungspunden.

Nach wie vor fühlen sich die drei untereinander wohl und lassen sich gegenseitig große Freiräume – natürlich nicht, weil man sich untereinander nicht mögen könnte, sondern weil man die Kunst der Anderen genug respektiert und sich schon längst so eingespielt hat, dass jeder der drei einfach mal machen darf.

So schreibt Bela B eben seine leicht düsteren, verruchten Songs, oder Farin U. kommt mit dem sonnigen Latin-Ska-Stück „Tristesse“ daher, das er auch genau so mit seinem Racing Team hätte spielen können. Auch Rod bekommt sein Fett weg: Neben seinem einzigen Beitrag, dem heiseren Schrammel-Pop-Song „Schrei“, ist der Closer des einstündigen Albums mit dem unverkennbaren Namen „Our Bass Player Hates This Song“ ihm gewidmet.

Es lässt sich natürlich streiten, ob es in den 20ern des 21. Jahrhunderts noch ganze zwei Stunden neuer Musik von Die Ärzte braucht – vor allem, wenn die Band so deutlich signalisiert, dass es ihr schon lange nicht mehr um Hits oder das Erfüllen von Erwartungshaltungen geht.

Aber blendet man erstmal die elitären Früher-waren-sie-viel-besser- und Das-hat-nichts-mehr-mit-Punk-zu-tun-Quengler aus, macht es einfach Spaß dabei zuzuhören, wie drei langjährige Mitstreiter ohne Umschweife das tun, was ihnen Freude bereitet – und was sie nach wie vor richtig gut können.

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Die Ärzte – Hell

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