Wieso eine Autobiografie schreiben, wenn du auch ein autobiografisches Album aufnehmen kannst? Das hat sich John Grant bei der Produktion seines fünften Albums „Boy From Michigan“ gefragt und sich für die Audio-Version entschieden.

Die Reise beginnt chronologisch mit dem betitelten Jungen aus Michigan, der im Titeltrack mit dem amerikanischen Traum konfrontiert wird. Zu Retro-Synthesizern und Drum-Samples kommt John Grant letztendlich zu dem Entschluss „The American Dream is not for weak soft-hearted fools“ und „can cause scarring and some nasty bruising“.

Der Sound der Achtziger zieht sich durch alle Songs auf „Boy From Michigan“. Nicht nur textlich, sondern auch klanglich will John Grant damit betonen, wo er herkommt und was ihn geprägt hat. So nimmt der damals 12-jährige Grant die Hörer*innen nach drei Songs – die er selbst „The Michigan Trilogy“ nennt – anschließend mit nach Denver, Colorado, wo seine Familie hinzog.

Der Sänger beschreibt dabei in „Mike And Julie“ seine schwierige Beziehung zu seiner eigenen Homosexualität, als er noch ein Teenager war. Verstärkt durch seine konservative, religiöse Erziehung kann er die Avancen seines damals besten Freundes nicht erwidern und versucht, sich mit Julie vor seinen Gefühlen zu verstecken.

Die über sechs Minuten lange Ballade ist der gefühlvollste Moment auf dem Album, zeigt aber gleichzeitig auch dessen Schwachstellen. „Boy From Michigan“ ist quasi der Score zum Biopic John Grants Leben.

Dementsprechend sind die gehäuft vorkommenden, repetitiven und langen Instrumental-Passagen zwar nicht überraschend, führen aber immer wieder zu einem schleppenden Hörerlebnis.

Trotzdem schafft es der Musiker, mit seinen Storys zu überzeugen. So zum Beispiel mit „Rhetorical Figure“, wo er auch seine Studienzeit in Heidelberg und Germersheim zurückblickt und eine Kostprobe seiner Konjugationskünste auf deutsch zum Besten gibt.

Als US-Expatriate, der mittlerweile in Reykjavík wohnt, kann auch er es sich nicht verkneifen, in „The Only Baby“ Trumps Amerika zu kritisieren, auch wenn dieser schon länger nicht mehr im Amt ist.

Viel eindrucksvoller ist hingegen der Song „Your Portfolio“, in dem er bildhaft von einer Sexualisierung von Geld spricht und den Kreis zum Amerikanischen Traum schließt.

„Boy From Michigan“ besticht durch Nostalgie und selbstreflektierte Lyrics und kann die etwas schwachen Spannungsbögen und teilweise fehlende Dynamik dadurch ausgleichen. Die einzige Frage, die am Ende noch bleibt, ist: Wann wird John Grants Leben verfilmt? Der passende Soundtrack existiert ja jetzt schon.

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