Ben Howard hasst Routinen. Vielleicht ist das die Erklärung dafür, weshalb man die bisherigen Alben des Briten nur schwer miteinander vergleichen kann. „Collections From The Whiteout“ tanzt insofern aus der Reihe, dass – wie man anhand des Titels schon erahnen kann – hier nicht mal ein Song dem anderen gleicht.

Wie jeder Ben-Howard-Platte, zumindest wenn man das verträumte Surf-Pop-Debüt „Every Kingdom“, das sich vor zehn Jahren schlagartig in die Herzen jedes Möchtegern-Hippies festbrannte, außer Acht lässt, muss man auch „Collections From The Whiteout“ Zeit zur Entfaltung geben.

Zum ersten Mal im Laufe seiner Karriere hat sich Howard Unterstützung ins Boot geholt. Gemeinsam mit Aaron Dessner von The National entstanden große Teile des Albums. Man merkt, dass hier zwei Bastler aufeinandertreffen, die großen Spaß an Soundexperimenten haben, denn jeder Song auf „Collections From The Whiteout“ hat seinen ganz eigenen Charme.

Der Opener „Follies Fixture“ ist das beste Beispiel: Was mit wilden Synth-Kaskaden beginnt und zunächst so greifbar ist wie das Ende des Lockdowns in Deutschland, besinnt sich plötzlich auf seine Basis und endet mit simplem Akustik-Strumming. Dazu proklamiert Ben Howard „Every sight of you I know is worth the keeping“ und liefert damit die passende Parole zu seinem vierten Album gleich mit.

Die Vorab-Single „What A Day“ ist ohne Frage der eingängigste Song auf „Collections From The Whiteout“. Während man sich also gerade in Sicherheit wiegt und die leichte, englische Sommersonne, den rauen Wind im Gesicht und vielleicht doch noch ein kleines Sandkörnchen zwischen den Zehen spürt, wird man mit „Finder’s Keepers“ schlagartig wieder in die Gegenwart katapultiert.

Hätte die Pandemie einen Soundtrack, „Finder’s Keepers“ wäre ein würdiger Anwärter. Polyrhythmische Soundschnipsel, zwischen denen Howards Stimme nach einem Ausweg sucht, teilweise mehr spricht als singt und einen mit einem flauen Gefühl im Magen und einem großen Fragezeichen zurücklässt. Inhaltlich geht es in dem Song um einen Koffer, den ein Freund von Howards Vater auf der Themse schwimmend fand und eine zerstückelte Leiche enthielt. Und schon macht die Musik dazu Sinn.

Nur zwei Songs später scheint diese verstörende Eskapade so weit weg wie eine durchtanzte Nacht im Club. „Rookery“ überzeugt als simple Akustik-Ballade, die nicht mehr braucht als ein bisschen Fingerpicking und Howards Stimme. Aufmerksamen Fans dürfte der Song bekannt vorkommen, denn obwohl er erstmals auf Platte erscheint, spielte Howard ihn bereits mehrfach auf Konzerten.

Man könnte jeden der 14 Song auf „Collections From The Whiteout“ auf diese Weise analysieren und doch serviert ein Titel die Quintessenz auf dem Silbertablett: „You Have Your Way“: Ben Howard macht nicht, was von ihm erwartet wird, sondern das, wonach ihm der Sinn steht. Und das zurecht.

Denn auch, wenn es ein bisschen Zeit braucht: Wer Ben Howard dieses Vertrauen entgegen bringt, wird mit einem großartigen Album belohnt, das mit seiner Vielfältigkeit neue Welten eröffnet ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren.

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