Spätestens nach dem Lockdown-Video „Ein Lied Für Jetzt“ konnten selbst diejenigen, die nicht unbedingt auf ein neues Album gewartet haben, ahnen: von Farin, Bela und Rod ist demnächst Größeres fällig.
Nun ist es passiert. Nachdem befürchtet werden musste, dass nach dem nötig gewordenen Abstand zwischen den Protagonisten im Anschluss an die 2013er Tour noch länger als achteinhalb Jahre auf Nachschub gewartet werden müsste, liefert „HELL“ dato eine glatte Stunde Die Ärzte-ABC.
Darin enthalten ist alles, was der mit dem Trio über Jahrzehnte kultisch-verbundene Fan erwartet und was, sollte es diese Spezies überhaupt geben, DÄ-Novizi*innen brauchen, um der besten Band der Welt zu verfallen.
„Morgens Pauken“ war schon mal ein amtliches Brett vorab, von dessen Kaliber weitere folgen, es aber wie üblich die wüste Genre-Mischung plus Eigenreferenzen ist, aus der „HELL“ – wie so viele bisherige Alben der Berliner – seine Faszination speist.
Da gibt es Gitarrero-Songs, in denen Farin seiner Saiten-Obsession frönt, Crooner-Nummern, die Bela in großer Form präsentieren (Träger eines modischen Blechdeckels auf dem Kopf werden „Fexxo Cigol“ lieben) und mit „Polyester“ den straighten Rod-Track.
Wo „Das Letzte Lied Des Sommers“ hemmungslos im „Westerland“-2.0-Stil poppt, begegnet man in „Ich, Am Strand“ karibischen Gefühlen, einer Country-Hommage in „Liebe Gegen Rechts“, Oi-Punk in „Alle Auf Brille“ und einer ironie-freien John-Lennon-Huldigung in „Leben Vor Dem Tod“ – musikalische Langeweile klingt anders.
Inhalt und Text wird nach wie vor von einer gekonnten Jonglage zwischen Klamauk, Satire, Gesellschafts- und Zeitgeistkritik bestimmt. Hohe Germanistik-Schule paart sich mit balken-biegenden Reimen, komplettiert von Selbstironie, mit der „E.V.J.M.F.“ das Album eröffnet, obendrauf Nonsens Marke „Thor“.
Wie relevant die öffentliche Wahrnehmung der Ärzte nach wie vor ist, zeigte ihr Auftrittsmöglichkeit in den „Tagesthemen“ der vergangenen Woche, in dem sie auf die mehr als düstere Künstler-Lage im Pandemie-Jahr hinwiesen, was den Spaß, den die Band offensichtlich beim Einspielen der neuen Stücke hatte und der sich relativ ungefiltert beim Hören überträgt, trübt.
Zum Glück kennt das Ärzte-Konzept, von Farin und Bela 19-jährig beim Warten auf den Nachtbus entwickelt, nach wie vor keinen „Plan B“. Und das ist gut so.