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Wir wollen nicht zur Normalität zurückkehren – Biffy Clyro im Interview

Biffy Clyro zählen längst zu den ganz Großen im Rock-Geschäft. Nach mittlerweile 25 Jahren Bandgeschichte, hat der unbändige Drang nach stetiger Veränderung ihrer Soundwelten es ihren Fans nicht immer leicht gemacht. Aber wer Biffy Clyro nach „Ellipsis“ schon in die Kuschelpop-Schublade verbannt hatte, der sollte seine Plattensammlung nach „A Celebration Of Endings“ definitiv neu sortieren. Wir sprachen mit Schlagzeuger Ben Johnston nicht nur über das Ende von vermeintlichen Freundschaften, sondern auch über den stetigen Drang nach Weiterentwicklung und eine bessere Version unserer Gesellschaft.

MusikBlog: „A Celebration Of Endings“ sollte eigentlich bereits im Mai erscheinen. Ihr habt euch dazu entschieden, das Release wegen Corona auf Mitte August zu verschieben.

Ben Johnston: Ja, aber da gab es mehrere Gründe, hauptsächlich, weil es uns während einer Pandemie völlig unangebracht erschien, ein Album zu promoten und über Musik zu sprechen. Wir haben gar nicht lange darüber diskutiert, da uns klar war, dass es zu dieser Zeit einfach wichtigere Themen gab, die gerade in der Welt passieren als Musik. Wenn eine Rockband das Veröffentlichungsdatum ihres achten Studioalbums verschiebt, ist das keine große Sache. Es war uns einfach nicht möglich, zu dieser Zeit mit Enthusiasmus über unsere Musik zu sprechen.

MusikBlog: Wir sind immer noch mitten in der Pandemie. Warum fühlt es sich jetzt anders an?

Ben Johnston: Es fühlt sich jetzt einfach richtig an. Es ist ein positives Album und wir möchten den Menschen in dieser Zeit mit unserer Musik ein bisschen Hoffnung geben. Außerdem haben wir jetzt so lange darauf gewartet, dass wir es einfach nicht mehr aushalten können. (lacht) Wir glauben, dass diese Platte unser bestes Album ist und wir wollen es endlich veröffentlichen. Es war sehr frustrierend, so lange zu warten. Ich kann es gar nicht abwarten, die Reaktionen der Leute zu hören.

MusikBlog: Wie erhältst du dir deine Positivität in diesen unsicheren Zeiten?

Ben Johnston: Das hört sich ein bisschen theatralisch an, aber man muss einfach versuchen, das Positive in Krisenzeiten zu sehen. Wir behandeln den Planeten derzeit besser, sprechen vielleicht wieder mehr mit Verwandten und Freunden, zu denen wir den Kontakt schleifen lassen hatten. Generell werden wir wieder mehr zu einer Gesellschaft; Nachbarn kümmern sich umeinander, gehen füreinander einkaufen.

Diese kleinen Augenblicke der Menschlichkeit, die vor der Pandemie schmerzlich gefehlt haben, kommen langsam zurück. Das Verhalten vieler Menschen war rücksichtslos. Es fehlte an Empathie und zu viele waren nur auf das eigene Weiterkommen bedacht und haben das zu Lasten anderer vorangetrieben. Wir müssen wieder zu diesen alten Werten zurückfinden. Viele sprechen davon, dass sie endlich wieder zurück zur Normalität wollen. Ich will nicht zur Normalität zurückkehren, die war nicht gut genug.

MusikBlog: Was würdest du gerne ändern?

Ben Johnston: Ich möchte, dass alle Menschen gleichbehandelt werden und sich gegenseitig als gleichberechtigt ansehen. Außerdem sollten die Leute, die uns regieren, endlich für die Dinge, die sie tun, zur Verantwortung gezogen werden. Busfahrer, Krankenschwestern und Supermarktangestellte – die Menschen, die uns täglich immer noch durch diese Pandemie bringen – sollten viel besser bezahlt werden, weil sie zu den wichtigsten Leuten in unserer Gesellschaft zählen.

Stattdessen halten sich die Politiker für schlauer als alle anderen und treffen Entscheidungen, mit denen sie sich nur in ihre eigene Tasche spielen. Wir müssen endlich aufwachen und die Herrschaft des weißen, reichen Mannes beenden.

MusikBlog: Wo du gerade von „beenden“ sprichst. Euer neues Album heißt „A Celebration Of Endings“. Ist die Platte aus einem Ende heraus entstanden?

Ben Johnston: Ja. Wir hatten zwei sehr lange professionelle und freundschaftliche Beziehungen, die nach 20 Jahren geendet haben. Sie waren Gift für die Band und wir haben es gar nicht bemerkt. Diese Menschen haben versucht, uns klein zu halten. Es war ein Prozess von mehreren Jahren, bis uns das aufgefallen ist. Sie haben uns nicht nur im Weg gestanden, sondern versucht einen Keil in die Band zu treiben. Es war sehr traurig und hat uns wirklich bis ins Mark getroffen, aber gleichzeitig haben wir erkannt, dass wir das alles auch alleine schaffen und das war eine wichtige Erkenntnis.

Gleichzeitig steht „A Celebration Of Endings“ aber auch dafür, dass einige Dinge einfach enden müssen, wie zum Beispiel, dass Regierungsoberhäupter ihre Bürger anlügen oder dieser Planet weiterhin zugemüllt wird. Normalerweise feiert man ein Ende nicht; wenn es das Ende von etwas Schlechtem ist, aber schon. Diese Mentalität wollen wir befeuern.

MusikBlog: Welches Ende hast du als Letztes gefeiert?

Ben Johnston: Ganz klar das Ende der Sperrung des Golfplatzes (lacht). Wir hatten so schönes Wetter im April und ich durfte einfach kein Golf spielen, was für mich überhaupt keinen Sinn gemacht hat. Gibt es irgendeinen Sport, der mehr den Prinzipien des Social-Distancings folgt?

MusikBlog: Biffy Clyro ist eigentlich nicht als politische Band bekannt. Warum hat sich das mit „A Celebration Of Endings” geändert?

Ben Johnston: Das ist dem aktuellen Weltgeschehen verschuldet. Man kann der Politik einfach nicht mehr entfliehen. In den letzten Jahren sind selbst Teenager politisch engagierter geworden. Als ich 13 oder 14 war, hat mich Politik nicht die Bohne interessiert. Aber das waren eben auch andere Zeiten, weil die Politiker zumindest scheinbar ihre Sache im Griff hatten. Da sind schon alle durchgedreht, wenn George W. Bush den Namen eines Staates verwechselt hat.

Und jetzt kann man sich täglich angucken, wie Trump das Niveau auf einen neuen Tiefstand bringt und Rassismus wieder salonfähig macht. Oder Boris Johnson, der Frauen, die eine Burka tragen als „Briefkästen“ betitelt und damit auch noch durchkommt, während wir den Brexit ausbaden müssen. Ein großer Fehler, der niemals hätte passieren dürfen. Wir wollen über die Sachen singen, die uns gerade beschäftigen und das ist derzeit eben vor allem die Politik.

MusikBlog: Eine Konstante in eurer Bandgeschichte ist definitiv der stetige Drang nach Veränderung.

Ben Johnston: Das stimmt. Aber unsere schottischen Akzente halten alles zusammen (lacht). Und vielleicht der Wunsch nach einer starken Melodie. Alles andere ist ziemlich offen und wir haben keine Checkboxen, die wir abhaken müssen oder wollen, außer, dass unsere Musik uns eine Gänsehaut beschert. Dann sind wir glücklich. Wenn andere Leute die Musik dann auch noch mögen, ist das ein Bonus.

MusikBlog: Ist die stetige Entwicklung eures Sounds ein natürlicher Prozess?

Ben Johnston: Nicht unbedingt. Wir wollen einfach nicht wie andere Bands sein, die sich ständig wiederholen. Das muss so verdammt langweilig sein. Wir müssen uns weiterentwicklen, uns pushen und herausfordern. Ein neuer Song muss uns selbst überraschen, denn wer will schon gelangweilt werden? Es gibt also durchaus Momente, wo ich was spiele und dann denke: „Hey, so ähnlich habe ich das schon mal gespielt. Ich probiere lieber was Neues.“

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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