Mit ihrem siebten Album öffnen Yacht die Büchse der Pandora. Ergebnis offen. Wo viele Neo-Krautrocker und Elektro-Acts gerne die Vorstellung eines Sounds aus Künstlicher Intelligenz zu simulieren versuchen, machen Yacht ernst.
Doch wer auch sonst, wenn nicht Yacht, das Akronym für „Young Americans Challenging High Technology“? Claire L. Evans, Jona Bechtolt und Rob Kieswetter verwenden neuronale Netze, um die Patterns ihrer Musik auseinander zu nehmen und variantenreicher wieder zusammen zu setzen.
Dabei gilt: der Weg ist das Ziel. Den daraus resultierend Experimental-Dance-Pop an der Schnittstelle von DIY und Technologie müssen sie sich dann erst aneignen, aufnehmen und irgendwie live umsetzbar machen.
Es grüßt die typische Schnittstellenproblematik aus der IT-Landschaft. Wo kann welches System an ein anderes andocken? Welche Software kann mit welcher Hardware sprechen, etc.?
Damit es nicht zu einfach wird, fokussieren sich Yacht erst gar nicht auf ein einzelnes Tool. Sie verwenden verschiedene KI-Prozesse, um Texte (Char-RNN), Musikdaten (MusicVAE), Roh-Audio (SampleRNN) und Instrumente (einen ’neuronalen Synthesizer‘ namens NSynth) zu generieren und anschließend von Menschenhand zusammenzuführen.
Die Band aus Los Angeles ist nicht die erste, die versucht neue Wege zu gehen, indem sie Maschinen und Computern das Schreiben überlässt, aber die erste, die sich traut, aus einer nie zuvor dagewesenen Fülle an Möglichkeiten einen Bruchteil des technisch Machbaren abzuschöpfen – inspiriert von der langen Geschichte der generativen Komposition von William Burroughs‘ Cut-Up-Schreibweise oder David Bowies maßgeschneiderter Verbasizer-Lyrik-Software aus den 90er Jahren.
Bowie zerstückelte mit dem Verbasizer ganze Sätze. Danach ließ er sie neu zusammenwürfeln und arbeitete mit den entstandenen Kombinationen weiter, die er händisch filterte.
Bei der Cut-Up-Methode entschied der Zufall und die Montage durch gezielte oder willkürliche Neuanordnung über das Ergebnis. Daraus entstand laut Bowie ein Kaleidoskop an Bedeutungen.
Bei Yacht entsteht ein Kaleidoskop an Songs, die weniger verrückt klingen, als es den Anschein macht. Im besten Fall geben sie eine gute Figur in Retro-Videospielen ab („Blue On Blue“) , und im schlechtesten klingen sie wie trockenes Oberstufen-Algebra („California Dali“).
Und manchmal sind sie auch einfach mehr käsig denn technisch („Death“). Aber hier übertrumpft ausnahmsweise tatsächlich die Herangehensweise das Resultat.
2016 mussten sich Jona Bechtholt und Clare Evans noch für ein angeblich geleaktes Sex-Tape entschuldigen, weil es sich im Nachgang als geschmacklos verunglückter PR-Stunt entpuppte. Dagegen ist „Chain Tripping“ nicht nur ein riesiger Schritt in Sachen Band-PR, sondern ein großer für die Musik im Allgemeinen.
Artificial Intelligence könnte für die Komposition von Songs so revolutionär werden, wie die Erfindung des Synthesizers. Die Büchse der Pandora steht fortan offen.