„Aromanticism“ könnte auch der findige Titel einer Duftkerze sein – das Aroma der Romantik. Wonach das genau riechen könnte? Rosen? Satinbettlaken? Rotwein? Wir werden es vermutlich nie erfahren, weil „Aromanticism“ keine Kerze ist, sondern der Titel von Moses Sumneys erster richtigen Platte, seinem Debütalbum sozusagen.
Die Vorstellungen, die wir mit Romantik verknüpfen, die Rosen, die Satinbettlaken, der Wein, sind konstruierte Gebilde, die von der Gesellschaft als geltende Norm gesetzt und von der Werbung, von Filmen, von Musik und anderen Medien reproduziert werden.
Aber welche Legitimation haben diese Konstrukte? Diese Frage beschäftigt auch den in Ghana und L.A. aufgewachsenen Moses Sumney. „Aromanticism“ ist ein Konzeptalbum, das sich kritisch mit der tradierten Vorstellung von Romantik als oberstes Ziel auseinandersetzt.
Romantische Liebe wird immer als maximale Erfüllung verkauft. Du kannst einen tollen Job haben, dich bester Gesundheit erfreuen, in deinem Hobby aufgehen, dich auf einen wunderbaren Freundeskreis verlassen können, aber all das ist nichts wert, wenn die Romantik in deinem Leben fehlt.
Aber mit welchem Recht wird romantische Liebe derart erhöht? Für Moses Sumney mit gar keinem. Was ist mit all den Menschen, die das nicht haben können oder wollen? Ist ihr Leben weniger erfüllt?
Das Thema lässt schon vermuten, dass es dabei um etwas Persönliches geht und tatsächlich: Sumney verarbeitet mit „Aromanticism“ die Erfahrungen, die er selbst gemacht hat. Er versteht sich als ‚Aromantic‘, als einen Menschen, der nicht fähig ist, romantische Liebe zu empfinden. Das Gefühl, dem Gegenüber nicht genügend zurückgeben zu können, wird auf der Platte immer wieder thematisiert.
„And I know what it’s like to behold and not be held“
Wer bei dieser kritischen Haltung gegenüber romantischen Liebeleien vermutet, das Album sei distanziert und kalt, wird überrascht sein. Schon lange habe ich keine derart intime und einfühlsame Platte mehr gehört.
Zu großen Teilen liegt das vermutlich an Moses Sumneys Stimme. Diese Stimme. Wäre es der Sache nicht zuwider, würde ich sagen: eine Stimme zum Verlieben.
Begleitet wird sie von sanften Gitarrenklängen und sphärischen Synths. Hinzu kommen immer mal wieder experimentelle Sounds, wie Chöre oder das Zupfen einer Harfe.
Spannend dabei ist vor allem die Art und Weise, wie „Aromanticism“ Pop, Jazz und Soul – die als Stile der Romantik quasi verpflichtet sind – mit fremdartig, beinahe außerirdisch wirkenden Elementen mixt und dadurch einen ganz eigenen Sound kreiert, der alles andere als kitschig ist.
Moses Sumney wird immer wieder mit James Blake verglichen und gewiss lässt sich eine Ähnlichkeit nicht abstreiten. Wie auch Blake schafft es Sumney, seinem Schmerz musikalisch Ausdruck zu verleihen. Wenn ich mir „Aromanticism“ jetzt noch mal anhöre, kann ich sagen, dass Leiden selten so einen schönen Klang hatte.