Schon alle Songs in der Lieblings-Karaoke-Bar durchgesungen? Dann bitte einmal jetzt das neue Album von Alex Cameron anhören und die Popsongs mit den überzogen großen Gefühlen einproben. „Forced Witness“ ist sein zweites Album und es ist eine Liebeserklärung an die 80er Jahre samt Saxophone, Synthesizern und dem Geruch von Barcadi Cola.
Der Australier, der Teil der Electro-Band Seekae ist, hat sich solo ein Alter Ego zugelegt: Einen strauchelnden Musiker, Entertainer und Schamanen. Er hängt in Bars ab, ist dauerhaft verliebt und gleichzeitig von der Liebe enttäuscht. Bereits beim Opener „Candy May“, einer schnulzigen Liebesnummer im Midtempo, wird die „Battle Of A Broken Heart“ groß besungen.
Das berühmte Salz in der Suppe ist das Saxophon-Spiel von Roy Molloy, das auch bei „Country Figs“ einen großen Platz einnimmt.
„Studmuffin96“ ist die Nummer, die durch einen einfachen Text und die Möglichkeit zum Luftgitarren-Solo besticht. In „The Hacienda“ gibt es Country-Anleihen, die zu dem Sänger, der sich wie Marlon Brando fühlt (nachzuhören beim Song „Marlon Brando“) sehr gut passen.
Dass dieses eindimensionale Männerbild schnell an seine Grenzen stößt, wird in „True Lies“ ganz deutlich. Die sehnsuchtsvolle Ode an einen Internetschwarm, die ein mitsing-freundliches „Uh-hu-hu“ enthält, hört nicht ganz so romantisch auf, wie sie begann. Das Lied endet mit der gesäuselten Einsicht: „Beautiful eyes, beautiful Nigerian Guy“. Hinter dem schönen Schein und all den Bildern mit den schönen Augen könnte keine hübsche Frau, sondern ein anderer Mann stecken, Stichwort: „Catfishing“.
Ganz real hingegen ist das Kerzenlicht-Duett „Stranger`s Kiss“, das Cameron zusammen mit Angel Olsen aufgenommen hat. Wer „Endless Love“ (Diana Ross & Lionel Richie) oder „Time Of My Life“ (Bill Medley und Jennifer Warnes) schon mitgesungen hat, dem sei „Stranger`s Kiss“ ans Herz gelegt.
Um Schein und Sein geht es auf „Forced Witness“ durchgängig. Alex Cameron schafft es auf allen 10 Tracks, sein Alter Ego ganz gefühlsduselig schmachten und leiden zu lassen.
Manche mögen Elektro-Tracks als herzlos empfinden. Alles das, was in der Musik von Seekae zu kurz kommen könnte, bündelt und veröffentlicht Alex Cameron auf seinem neuen Solo-Longplayer. Darauf eine Barcardi Cola und eine Karaoke-Verabredung mit dem Schwarm, der sich hoffentlich nicht als Internetbetrüger entpuppt.