Alles andere ist Bonus – INHEAVEN im Interview

Als INHEAVEN 2015 den Song „Regeneration“ samt Video ins Netz stellten, fanden sie sich plötzlich in vertauschten Rollen wieder. Julian Casablancas, dessen Band The Strokes die Mitglieder des Quartetts aus Südlondon seit ihrer Jugend verehrten, outete sich als Fan und veröffentlichte die Single als Seven-Inch auf seinem eigenen Label Cult Records. Das brachte INHEAVEN einerseits viel Aufmerksamkeit, erhöhte andererseits aber auch den Druck auf die junge Band.

Doch INHEAVEN machten sich davon frei, indem sie in den folgenden Jahren zunächst nur ein paar Singles veröffentlichten und zahllose Konzerte spielten, bevor sie sich endlich an ihr Debütalbum wagten. Dieses beweist vor allem, dass die Band um das Duo James Taylor und Chloe Little die Rockgeschichte der letzten 40 Jahre bestens kennt.

Lärmender Shoegaze im Stil von My Bloody Valentine trifft auf den Indierock der Pixies, der Grunge von Nirvana schimmert ebenso durch wie die Melodien von R.E.M. in den ruhigeren Momenten. Kein Wunder also, dass INHEAVEN ihren Stil augenzwinkernd als „Dreamy Noise-Punk-Pop“ bezeichnen. Wir sprachen mit Co-Frontmann James Taylor über den langen Weg bis zum Debütalbum, die 90er als Hochphase der Rockmusik und das Zusammenspiel von Bildern und Musik bei INHEAVEN.

MusikBlog: Ihr veröffentlicht seit 2015 Singles, habt euch für euer Debütalbum „Inheaven“ aber viel Zeit gelassen. Wart ihr davor noch nicht bereit für euer erstes großes Statement als Band?

James Taylor: Doch, eigentlich hatten wir von Beginn an eine klare Vision, wie wir klingen möchten. Alles begann mit einer Webseite, auf der wir jede Woche einen Song mit einem passenden Video veröffentlichten. Irgendwann wurden Blogs auf uns aufmerksam, schrieben über uns, Cult Records und Julian Casablancas kontaktierten uns und veröffentlichten unsere erste Single „Regeneration“ in Amerika und Großbritannien.

So nahm die ganze Sache Fahrt auf. Aber in Großbritannien kommt man als Band nicht weit, wenn man nicht in jeder Stadt ein paar Konzerte spielt. Deshalb sind wir fast drei Jahre durch die UK getourt, damit die Leute hier wissen, wer wir sind. Das ist der Grund dafür, warum unser Debütalbum erst jetzt erscheint. Wir waren aber von Anfang an bereit – wir hatten die Songs, den Sound, die Vision und sogar das Artwork. Manche Songs auf dem Album sind bereits fünf Jahre alt.

MusikBlog: Als ihr zu Beginn eurer Karriere Musikvideos auf eurer eigenen Webseite veröffentlicht habt, war INHEAVEN da schon eine richtige Band oder ein reines Onlineprojekt?

James Taylor: INHEAVEN war damals ein reines Schlafzimmer-Projekt, Chloe und ich haben die Musik, die Produktion, die Videos und das Artwork von einem kleinen Schlafzimmer in Südlondon aus erstellt und veröffentlicht. Aber weil wir kein reines Internetphänomen bleiben wollten, haben wir Jake und Joe dazu geholt. So wurde aus INHEAVEN eine richtige Band.

MusikBlog: Ihr habt aber auch länger für euer Debüt gebraucht, weil ihr Teile der ersten Version wieder verworfen habt?

James Taylor: Genau, wir sind Ende 2015 zum ersten Mal ins Studio gegangen, um das Album aufzunehmen. Aber nachdem das Album fertig war, gingen wir erneut auf Tour, spielten Festivals und Konzerte. Bei diesen Auftritten herrschte eine unglaublich energiegeladene Atmosphäre, die Zuschauer starteten Moshpits und sprangen wie wild herum.

Diese Energie steckte uns an, die Songs wurden von Konzert zu Konzert lauter und aggressiver, der Sound unseres Albums kam uns deshalb nicht mehr aktuell vor. Also sind wir ein zweites Mal in die Rockfield Studios zurückgekehrt und haben die vier Songs „World On Fire“, „Vultures“, „Treats“ und einen, der nicht auf dem Album gelandet ist, aufgenommen. Das war ungefähr ein Jahr nach den ersten Aufnahmen.

MusikBlog: Seid ihr also in erster Linie eine Live-Band?

James Taylor: Ja, alles, was wir als Band machen, dient vor allem dem Ziel, auf Tour zu gehen und Konzerte zu spielen. Diese Shows sind ekstatisch und beinahe kathartisch für uns, es gibt keine bessere Droge auf der Welt. Alles andere ist Bonus, für uns haben die Konzerte Priorität.

MusikBlog: Ihr habt eine Spotify-Playlist mit euren musikalischen Vorbildern wie The Jesus And Mary Chain, Smashing Pumpkins und den Pixies veröffentlicht. Wolltet ihr vor allem euren jüngeren Hörern zeigen, worauf euer Stil aufbaut?

James Taylor: Vor allem in Großbritannien haben wir eine sehr junge Hörerschaft. Deshalb war es uns wichtig, diesen Kids ältere Bands zu zeigen, die wir lieben, die uns beeinflusst haben und mit deren Musik wir aufgewachsen sind. Wahrscheinlich funktionieren wir als Band auch deshalb so gut, weil wir vier in unserer Jugend dieselben Bands gehört haben. Deshalb haben wir eine ähnliche musikalische Vision und können als Band leichter Entscheidungen treffen. Außerdem fühlt es sich immer großartig an, wenn uns nach einem Konzert ein Fan erzählt, dass er eine Band durch diese Playlist entdeckt hat.

MusikBlog: Viele dieser Bands hatten ihre einflussreichste Zeit Ende der 80er und Anfang der 90er und damit vor eurer Jugend. Habt ihr diese Bands selbst ebenfalls entdeckt, weil Bands wie The Strokes von ihnen beeinflusst waren?

James Taylor: Auf jeden Fall. Ich habe damals beispielsweise gelesen, dass die Strokes riesige Fans von Tom Petty sind und deshalb angefangen haben, Tom Petty & The Heartbreakers zu hören. Auch Kurt Cobain hat in vielen seiner Interviews über Bands gesprochen, die den Stil von Nirvana geprägt haben. Die meisten Bands, die ich heute liebe, habe ich über solche Umwege entdeckt.

MusikBlog: Und stammen deshalb so viele Bands der Playlist aus den 90ern, weil es eure Lieblingsdekade der Rockgeschichte ist?

James Taylor: Es war auf jeden Fall eine der besten Phasen der Rockmusik. Wir sind natürlich auch vom Punk der 70er und der Attitüde dieser Subkultur beeinflusst, aber die 90er waren schon deshalb wichtiger für uns, weil sie noch viel aktueller waren, als wir aufwuchsen. Heute spielt da auch eine Menge Nostalgie mit rein, natürlich romantisiert man die Helden seiner Jugend.

MusikBlog: Glaubst du, dass Rock heute noch ähnlich einflussreich sein kann?

James Taylor: Auf jeden Fall gibt es heute wieder eine Unmenge junger Bands in Großbritannien, die alle ähnliche Einflüsse und eine ähnliche Vorstellung von Rock teilen. Da schwingt viel Nostalgie mit, alle basteln wieder Fanzines, weil sie im digitalen Zeitalter eine Sehnsucht nach diesen handfesten Dingen verspüren. Außerdem wehren sie sich gegen die Vorstellung, dass Musik immer verfügbar, aber letztlich wertlos geworden ist.

MusikBlog: Ihr selbst veröffentlicht ja ebenfalls selbstgebastelte Fanzines zu euren Singles. Was genau findet man denn in diesen Magazinen?

James Taylor: Die Fanzines bestehen aus unseren Songtexten, aber auch Gedichten, die wir mögen. Außerdem findet man darin Fotos, die wir auf Tour aufgenommen haben, die unseren Alltag als Band in Schnappschüssen einfangen. Außerdem auch Fotos oder Bilder, die unsere Songs inspiriert haben oder die eine ähnliche Stimmung vermitteln. Mittlerweile haben wir sechs Ausgaben dieser Fanzines veröffentlicht, für das Album planen wir außerdem gerade ein Magazin, das alles diese sechs Ausgaben enthält sowie exklusives Material zum Album.

MusikBlog: Nicht nur bei diesen Fanzines, auch bei den Videos und dem Artwork eurer Singles legt ihr viel Wert auf die visuellen Aspekte der Band. Was kommt zuerst, die Musik oder die Bilder?

James Taylor: Bei unserer ersten Single „Regeneration“ zeigte Chloe Little mir ein Video für die Webseite, das sie gemacht hatte, und ich schrieb dazu dann die passende Musik. Der ganze Song ist in Abstimmung mit diesem Video entstanden, die Bilder existierten also vor der Musik. Auch das Artwork unserer Singles und des Albums, die verschiedenen Münder mit der Blüte auf der Zunge, hatte ich schon entworfen, bevor es diese Band überhaupt gab. Zu Beginn prägten also die Bilder die Musik, mittlerweile hat sich das aber umgekehrt. Wir schreiben Songs, nehmen sie auf und überlegen uns anschließend erst, wie das Video dazu aussehen könnte. Was sich aber nicht verändert hat, ist, dass wir alle diese Bilder immer noch komplett selbst entwerfen – sowohl das Artwork als auch die Videos.

MusikBlog: Diese Artwork-Reihe erinnert mich in ihrer Serialität an Andy Warhols „Flowers“-Reihe.

James Taylor: Warhols Reihe war auf jeden Fall auch ein Vorbild für mich, als ich das Artwork entworfen habe. Ich habe zwar schon Gitarre gespielt, bevor wir INHEAVEN gegründet haben, aber niemals zuvor gesungen. Deshalb sollte diese Blüte auf der Zunge das Erblühen meines Gesangs, meines künstlerischen Ausdrucks symbolisieren.

MusikBlog: Führt ihr diese Serie mit den kommenden Singles und Alben fort oder wird es zum nächsten Album auch ein neues visuelles Design geben?

James Taylor: Wir denken in Trilogien, sehen „INHEAVEN“ als den ersten Teil von insgesamt drei Alben, die inhaltlich aufeinander aufbauen und sich thematisch ähneln. Deshalb wollen wir das grundsätzliche Konzept beibehalten, also wieder die Singles und das Album mit zusammenhängenden Artworks versehen. Allerdings wird ein neues Motiv die Grundlage bilden. Tatsächlich habe ich mir gerade eben das neue Motiv angesehen, will aber noch nicht verraten, wie es aussieht. Das ist ein weiterer Nebeneffekt davon, sein erstes Album so lange hinaus zu zögern. Mit dem Kopf ist man automatisch bereits beim zweiten und sogar dritten Album.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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