„Grey Tickles“ ist die 1:1-Übersetzung der isländischen Bezeichnung für Midlife Crisis, „Black Pressure“ die der türkischen für Albtraum. In beiden Bereichen kennt sich der US-Songwriter John Grant bestens aus, der sich für den Titel seines dritten Soloalbums anscheinend von seinen früheren Dolmetschertätigkeiten inspirieren ließ.

So düster wie vermutet klingt sein neues Album „Grey Tickles, Black Pressure“ aber gar nicht. Vielmehr beweist Grant darauf sein Gespür für orchestrale Eleganz. Und mindestens jeder zehnten der tausend tiefen Tränen folgt ein ordentlicher Gag.

Das Klangbild der Platte ist im Vergleich zum Vorgänger „Pale Green Ghosts“ nämlich ein wenig heller und runder geraten. Und das, obwohl der frühere Folkmusiker immer noch für kratzigen Synthie-Pop steht und mit seinen Elektronik-Entwürfen wie die melancholische Variante von LCD Soundsystem klingt. Mit Stücken wie „Black Blizzard“ oder „Voodoo Doll“ würde er seine musikalische Wandlung zum leicht morbiden Elektronik-Tüfftler hin eigentlich konsequent fortsetzen können, wenn da nicht gelegentliche Ausbrüche in Richtung rau verzerrtem Rock´n´Roll („Guess How I Know“ und „You & Him“) ­und sein Hang zum Symphoniker-Pop wären.

Vor zwei Jahren drehte sich bei Grant alles um Lethargie und zerbrochene Beziehungen. „I am ashamed because I don´t know myself right now and I am 43“ sang er unter anderem gemeinsam mit Sinéad O’Connor in autobiographisch gefärbten Nummern wie „Why Don´t You Love Me Anymore“. Sein Seelenstriptease-Songwriting hat Grant beibehalten, der 2012 auf einem Konzert mit Hercules & Love Affair unvermittelt bekanntgab, dass er HIV-positiv ist.

Tod und Krankheit sind die wiederkehrenden Themen, mit denen er sich in seinen Texten auseinandersetzt. „There are children who have cancer and so all bets are off because I can´t compete to that“, heißt es schonungslos und entwaffnend im Titeltrack. Doch auch wenn „Grey Tickles, Black Pressure“ viel Salz in die Wunden streut und sich erneut den Abgründen der menschlichen Seele annimmt, klingt er in diesem Jahr selbstbewusster und auch ein wenig versöhnter mit der Welt. „Central Park on an autumn day will always be stunning and never cliché“, gesteht er etwa in „Disappointing“.

Die neue Leichtigkeit macht sich nicht nur durch Funk-Arrangements der verspielten Single (auf der Tracey Thorn von Everything But The Girl einen Gastauftritt hat) bemerkbar, sondern vor allem durch zum großen Teil harmonische Streicherbögen, die Grants eigenwillige Elektronik-Dramaturgie perfekt einrahmen.

Das Live-Konzert mit dem BBC Philharmonic Orchestra, das John Grant 2014 aufnahm, hat deutliche Spuren hinterlassen. So reif und ausgefeilt wie auf der zweiten Albumhälfte klang er noch nie. „No More Tangles“ und „Geraldine“ sind kompositorische Glanzleistungen, die auch kurze Schwächephasen des Albums schnell vergessen machen. Ein wenig spröde wird es lediglich, wenn der ehemalige The Czars-Sänger Ansätze macht, zu seinen Folk-Ursprüngen zurückzukehren.

„Grey Tickles, Black Pressure“ dürfte sowohl das abwechslungsreichste als auch zugänglichste Werk in John Grants bisheriger Laufbahn sein. Und ebenso ein Beleg dafür, dass (über-)intimes und persönliches Songwriting durchaus gelingen kann, ohne sich dem Hörer allzu sehr aufzudrängen. Eine Kunst, die Grant mittlerweile nahezu meisterhaft beherrscht.

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