Souverän. Joanna Newsom zeigt mal wieder allen Avantgarde-Poppern und sogenannten Freak-Folk-Barden, dass die Kunst im Art-Pop nicht vom Kostümieren kommt.

Mit unverkrampfter Akribie hat sie jahrelang an ihrem vierten Album gewerkelt, Weird Folk-Spezialist und Produzent Noah Georgeson (Devendra Banhart) wieder für sich gewonnen, aber auch durch die Zusammenarbeit mit Totalverweigerer Steve Albini aufhorchen lassen, einem der letzten Urgesteine authentischer Kapitalismusverweigerung im zeitgenössischen Musikbetrieb und dem Producer des ersten Studioalbums der Pixies und des letzten von Nirvana.

Dass die Newsom mittlerweile in solch komfortabler kreativer Ausgangslage situiert ist, hat sie sich hart erarbeitet. Das kleinstädtische, kalifornische Walddorfschulmädchen, behütet aufgezogen von kultivierten Bildungsbürger-Ärzten ohne Fernseher, hatte 2004 mit ihrem Debüt „The Milk-Eyed Mender“ für eine kleine Revolution im Folk gesorgt:

Fast gänzlich rhythmusfrei betörte eine Junge Singer/Songwriterin fast allein nur mit Harfe und Stimme, ohne dabei ins klischeehafte Renaissance-Lager abzudriften.

Mit dem Triple-LP-Knaller „Have One On Me“, 2010, war ein endgültiger Kultstatus erreicht. Keine derzeitige Folk-Musikerin bewegt sich souveräner im Interface aus Avantgarde, Klassik, Folk und Pop.

Wieder betören Newsoms ungewöhnliche Melodiebögen und tragen fort in andere Gedankenwelten. Ob mit ihrer atypisch eingesetzten Stimme, mit Orchesterbegleitung, mit der auf „Divers“ wieder häufiger hervorgeholten Harfe, mit einem Melotron, mit sonstigen verstaubten Tasteninstrumenten aus dem Kuriositätenkabinett: „Divers“ ist ein verstörend federleichtes, souverän tiefgründiges Art-Pop-Erlebnis.

Keine aufgekleisterte, bedeutungsschwangere Message, einfach Songs über Verlust und Angst und Liebe, kein Wille zur Kunst, der Nietzsche stolz gemacht hätte; Joanna Newsom und ihr – im wahrsten Sinne des Wortes – außerordentlicher Weird-Folk bleiben genau so authentisch, wie die seltsamen Einzelpunkte ihrer Biografie verbürgt sind.

Die mit einem bekannten TV-Comedian verheiratete, in einer hübschen L.A.er Villa lebende 33-jährige Bardin hat viel riskiert, als sie ihr Kompositionsstudium an der Kunsthochschule schmiss, vor dem Debütdurchbruch vor über einer Dekade.

Aber wer nach der Schule tagelang in der kalifornischen Wildnis spirituell fasten geht, um an einem Flusslauf auf das halluzinierte Erscheinen des eigenen Totemtiers zu warten, und dann von drei zahmen, schneeweißen Wölfen, die von einer benachbarten Ranch herübergestromert kamen, das Gesicht abgeleckt zu bekommen, dem ist, erstens, sowieso nicht mehr zu helfen, und der braucht, zweitens, nun wahrlich kein Risiko der Nonkonformität mehr zu scheuen.

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