Bereits zum 10. Mal jährte sich in diesem Jahr das Reeperbahn Festival in Hamburg. MusikBlog ist seit seiner Gründung jedes Jahr dabei und präsentierte in diesem Jahr den Mittwoch Abend im Molotow mit Menace Beach, Magnus, Girlpool und U3000.
Tony Dekker von den phantastischen Great Lake Swimmers gab am Freitag bereits am Nachmittag eine schöne Akkustik-Solo-Performance in den Nettwerk Büros und gab sich nahbar zum Anfassen inkl. dankbarer Umarmung mit Nettwerk Mit-Gründer und Präsident Mark Jowett, der extra aus Vancouver angereist war.
In der nachmittags-sonnigen Jahrmarktsatmosphäre des Spielbudenplatzes spielten Mammút ein akkustisches Preset, während auf dem Dach der „geilen Knolle“ (Astra-Bühne) die Lüneburger Loifior ihren Sound im Stile von Trümmer (Loifior selber sagen im Stile von Joy Division) präsentierten.
Derweil führte der australische Tag im Molotow bereits zu früher Stunde zu einem vollen Haus. Die gutgelaunten Ball Park Music wurden wie beim Boxen von einem Einheizer lautstark angekündigt und starteten mit Beach Boys Sound, aus dem sich recht bald tanzbarer Indie-Pop schälte, der das Publikum ordentlich zum Schwitzen brachte.
Der intensiv kratzige Vortrag des Sängers von Elias, dem ersten Act des Abends im Spotify Trendsetter Club, hätte auch als alternative Gospelveranstaltung durchgehen können.
Olympique im Indra gaben eine starke Darbietung ihres Indie-Rocks und Sänger Fabian Woschnagg bedankte sich für den Zuspruch auf Hochdeutsch mit „Hamburg, meine Liebe“, obwohl die Band ja bekanntlich aus Salzburg kommt.
Währenddessen führten wenige Meter weiter im Gruenspan die Altvorderen New Order anlässlich ihres neuen Albums „Music Complete“ ein launiges Interview mit einem Moderator, um vorher gut sortierte Fan-Fragen zu beantworten und gaben ihre heterogene Meinung bzgl. des besten Tracks auf der neuen Scheibe zum Besten.
Etwas später gaben Pyro Trees aus Lettland im klaustrophobischen Karatekeller des Molotow eine starke Performance ihres Kings Of Leon inspirierten Light-Alternative-Rock-Pop Sounds.
Happyness, die drei Jungs aus den „United States of England and Northern Ireland“ wie sie selber sagten, die bekleidet mit T-Shirts aus ihren Grundschultagen auf die Bühne kamen, bretterten im Stile von We Are Scientists ordentlich nach vorn.
Die MusikBlog Favorites Get Your Gun bliesen kurz danach in der überfüllten Pooca Bar ihre aus nordischer Kargheit gezimmerten Moritaten eiskalt in das Publikum. Sänger Andreas Westmark, dessen Bart er scheinbar seit unserem letzten Treffen vor zwei Jahren nicht mehr geschnitten hat, gab im langen, dunklen Mantel wie immer alles.
Mindestens fünf Stufen fröhlicher rappten sich dann Fünf Sterne deluxe solide durch ihr Heimspiel in den Docks, litten allerdings unter einer bescheidenen Akustik, die vor allem die hinteren Zuschauerreihen um große Teile ihrer Wortgewandtheit brachte.
Say Yes Dog brachten dann die heiße, marihuana-geschwängerte Luft im Kaiserkeller zum Brodeln („Wir ziehen unsere Pullis sonst erst nach fünf Songs aus, heute schon nach dem ersten“) und vor allem die Frauen in der ersten Reihe zum Tanzen.
Mac DeMarco gab danach in der oben benachbarten Großen Freiheit 36 seinen gemütlichen Schunkel-Rock in La-Bamba-Manier zum Besten und forderte das Publikum zum Zurücklehnen und Entspannen auf. Bevor wir auf der Empore fast einschliefen, war es Zeit, sich zurückzuziehen.
Der Samstag begann dann am Nachmittag mit dem PIAS/FKP Scorpio Barbecue im Molotow mit u.a. Elliot Moss, die sich bemühten wie die frühen Radiohead zu klingen, wann immer sie ansetzten, ihre gefühlsduselige Crooner-Haftigkeit zu verlassen.
Währenddessen spielte sich Jarryd James im N-JOY Reeperbus auf dem Spielbudenplatz für sein am Abend folgendes Konzert sehr überzeugend warm und präsentierte gefühlvollen Soul-Pop, der in dem Übersong „Do You Remember“ gipfelte.
TV Legende (nach seiner Meinung) Ray Cokes lud dann zum letzten Mal in diesem Jahr zu Ray’s Reeperbahn Revue ins Schmidt Theater. Nach der obligatorischen Suche nach Jesus (der diesmal von der Bühnentreppe kam, nachdem sich zunächst Rays Schwager, mit Perücke verkleidet, als dieser ausgab) und der Nominierung der Bartender aus dem Publikum (diesmal ein Paar, das von Ray gefragt wurde, wie lange sie denn schon zusammen sind und ob er ein guter Liebhaber wäre) kamen als musikalische Gäste Gabriel Rios, Family Of The Year (mit sehr schöner Akkustikperformance), The Franklin Electric (die am schwersten zu googelnde Band) und Ball Park Music. Im Anschluss daran (und einige der üblichen Ray Cokes Jokes über Drogen, Sex und Rock’n’Roll weiter) gab dann Ray’s Reeperband (mit Jesus am Schlagzeug und Ray Cokes am „Gesang“) ein schönes Abschiedskonzert mit der etwas schrägen, aber gut gemeinten Darbietung des Beatles Klassikers „Let It Be“.
Den frühen Abend leuteten dann Puppy im Molotow-Karatekeller ein, die sich nur wenig bemühten, ihre Vorbilder Smashing Pumpkins in ihrem Sound zu verbergen, aber ganz gut den Keller rockten.
In der obersten Etage des Molotow legten dann Leo Hört Rauschen aus Dresden vom Start an los, als würden sie einen Hybrid aus Interpol, Die Art und Mutter kreieren wollen. Der gelang unter dem Strich jedoch nicht schlecht, auch wenn es textlich teilweise etwas überambitioniert klang.
Nessi im Moondoo bot dann ihren Befindlichkeits-Pop und erzählte, dass bei ihrem ersten Festival Auftritt vor vier Jahren ihre Mutter (die auch heute wieder im Publikum stand) hinter einer Säule stehen musste, damit Nessi nicht ihre Animiergesten sehen konnte, die sie nervös machten. Süß.
Die Britin Beth Jeans Houghton alias Du Blonde erschreckte im Knust anfangs etwas mit klassischem Frauen-Power-Rock und Gwen Stefani Gestik, legte jedoch dann eine punkig-rockige Kehrtwende hin und ließ wohlige Erinnerungen an die Spät-Achtziger Band Transvision Vamp aufkommen.
Die ebenfalls aus UK stammende Låpsley bot dann mit ihrem minimalistischen Elektro-Singer/Songwriter-Sound und enorm präsenter Stimme das Highlight des diesjährigen Reeperbahn Festivals. EMA, LoneLady und La Roux dezent, aber trotzdem originell durchgemischt. Nicht umsonst wurde Holly Lapsley Fletcher, wie Låpsley vollständig heißt, von den aufmerksamen Kollegen der BBC zum Sound of…2015 nominiert.
Im täglich stattfindenden Spotify Trendsetter Club gaben die Berliner TÜSN eine solide Performance mit ihrem Elektro-Punk-Pop, bei der ihr Hit „Schwarzmarkt“ natürlich nicht fehlen durfte. Der Sound erinnerte teilweise an die 80er Industrial-Formation Die Krupps, was auch die Bandnamensgebung erklären könnte (ThyssenKrupp – get it?). Im Publikum übrigens auch MusikBlog Favorit Casper, was man wohl – falls er wegen TÜSN da war – als weiteren Checkmark für die Band interpretieren darf.
Popakademie Absolvent Joris bot dann im Docks einen schönen Beitrag zum Völkerverständnis mit seinem Konsens-Pop und Gesten wie „Jetzt umarmt jeder seinen linken oder rechten Nachbarn“ sowie der Erinnerung, dass alle Menschen, egal ob „rot, grün, gelb, schwarz oder weiß“ gleich sind.
Den sympathischen Abschluss des diesjährigen Festivals gab dann Lokalmatadorin Leslie Clio in der Großen Freiheit 36 mit den Hits ihres aktuellen Albums „Eureka„.
Auch in diesem Jahr wieder ein sehr schönes Festival mit guter Organisation. Allerdings wird es zunehmend schwieriger, die Bands zu unterscheiden, da sich diese doch zu oft zu stark an bekannten Vorbildern orientieren und es scheinbar immer weniger schaffen, ihre Nische und Einzigartigkeit zu finden.