Das hier ist ein Scheideweg. Tame Impala haben uns seit den Zehnerjahren mit zwei wundervollen Neo-Psychedelia-Alben versorgt. Entschleunigte Rockmusik, die mithin für mehr als nur die Soundideen einer jungen Band aus dem dauersonnigen Perth in Australien standen. Sanft, unprätentiös, ohne dicke Eier und Breitbeinigkeit, aber doch rockend, groovend und lässig, irgendwie naturbreit, repräsentiert Tame Impala letztlich auch ein neues Männerbild im Rock. Wer einen Slogan braucht: Souveräne Sanftheit, die männlich sein nicht länger mit dominant sein gleich setzt; oder so ähnlich.
Nun, im Grunde sind Tame Impala keine Rock-Band mehr. Und vor allem wird jetzt gewahr, war sie nie eine Band im klassischen Sinn. Tame Impala ist Kevin Parker, so wie Nine Inch Nails Trent Reznor ist. Und als solches unterliegt das Projekt allein den Veränderungen seines Masterminds. Und mein Gott, hat der sich verändert. Der Sprung von Psychedelic-Rock zu Psychedelic-Pop und Dream-Pop und Neo-Soul und Zeitlupen-Funk mag gelesen nicht gravierend anmuten, doch das dritte Tame Impala-Album ist eine regelrechte musikalische Neuerfindung Parkers. Mutige erste Schritte auf Neuland.
Es ist aber auch beneidenswert, wie im Making-Of-Teaser gezeigt, unter welchen Bedingungen Multiinstrumentalist Parker da in seinem Haus am Meer, dass sein eigenes Home-Studio ist, wie ein Einsiedler in aller Seelenruhe an seinen Soundideen tüfteln kann. Nur er und der Indische Ozean als Zuhörer.
Der Wandel ist sehr clever schonend arrangiert. „Currents“ beginnt in etwa wie das letzte Album „Lonerism“ insgesamt wirkte. Ein fuzzy, dreamy, Psych-Rock-Groover ist „Let It Happen“, fast acht Minuten lang und seit einigen Monaten schon in der Blogosphäre und den Kopfhörern. Ein Song voller Dynamiken und Evolutionen, ozeangleich und von Synthies getragen, aber doch in treibenden Gitarren-Riffs kulminierend. Definitiv einer der besten Songs des Jahres.
Doch genau mit dieser fantastischen Psych-Rock-Fähre als Opener haben wir übergesetzt in Parkers brave new world. Und es gibt kein Rückfahrticket. „Currents“ strotzt vor Falsetto-getränktem Soul, vor Prince- und D’Angelo-Geistern. Tame Impalas neue Musik hat mehr mit Dance Music alter, synthie-durchsetzter, funkiesker Schule zu tun, mit benebelt, benommenen Dream-Pop, der die Zeit anhält, als mit Druck ventilierendem Rock. „Yes, I’m Changing“ lautet nicht von ungefähr ein Songtitel auf „Currents“.
Der neue Psychedelic-Dream-Pop Parkers besticht durch eine erstaunliche Melodiefülle und kluge Rhythmusstrukturierung, das Herausstellungsmerkmal dieses Sounds ist zunächst einmal: Einmaligkeit. Es ist schwer vorstellbar, dass „Currents“ je mit irgendeinem andern Sound irgendeiner anderen Band verwechselt werden kann. Allein das lässt die Kritikerschar die Lobeshymnen ansetzten und die Lorbeeren schmeißen. Von Anfang bis Ende ist dieses Album wohlüberlegt, fein geformt und methodisch, vom den drei kurzen Übergangstracks, zu den drei herausragenden Marksteinen am Anfang, in der Mitte und am Schluss („Let It Happen“, „The Less I Know The Better“, „New Person, Same Old Mistakes“).
Ein Meisterwerk also? Album of the year? Vielleicht nicht ganz, oder vielleicht: Nur manches Mal. Wenn der neue, aufregende und benebelte Future-Retro-Psych-Dream-Pop des Kevin Parker eine Schwäche hat, dann vielleicht die des Dream-Pop-Genres an sich: auf „Currents“ ist alles so schön friedlich, weich und erhaben, dass einem bisweilen die Kanten fehlen. Ab den zehnten Durchläufen stellt sich bei mir nicht mehr die gleiche Faszination ein, wie zum überraschenden Beginn der Rezeption. Manche Songs lassen nach, verlieren an Gewicht. In bestimmten Gefühlslagen ist „Currents“ zu harmlos, was dieses tolle Stück Popmusik zu voraussetzungsvoll macht um die absolute Bestnote zu ergattern. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Tame Impalas mutig-neuartiges Album schrammt nur ganz knapp daran vorbei.