Nicht allein „Weltschmerz“, „kaputt“ oder „Kindergarten“ haben es Dank ihrer unübersetzbaren Ausdruckskraft in die englische Sprache geschafft, auch die provinziellen, ruralen und infrastrukturell kargen Gebiete „hinter“ etwas großem oder wichtigem, ob Stadt, Naturobjekt oder Grenze, lassen sich scheinbar nur im Deutschen auf einen treffenden Begriff bringen: Hinterland. Das Hinterland ihrer Heimat Manchester hat Julie Campbell alias LoneLady im Sinn auf ihrem lang erwarteten Zweitwerk, nach dem 2010er Post-Punk-Schmaus mit stilvoll britischem Appeal „Nerve Up“.
Der minimale und stark rhythmusorientierte Indie-Rock-Post-Punk-Verschnitt Campbells erfährt auf „Hinterland“ eine sehr gelungene und sich warm anfühlende Erweiterung, indes ohne voller, ohne weniger reduziert und minimal zu sein. Staccato-Taktiken und Rhythmusstrukturen machen nach wie vor die Schlichtheit des Sounds von LoneLady aus, auch wenn hier wohltemperierte Synthie-Spuren, Bass-Läufe und digitale Percussions einen post-indutriellen Charme versprühen, der gleichsam auf Detroiter 70s-Funk, wie dem ebenfalls in der ehemaligen Automobilmetropole geborenen stoischen Minimal-Techno verweist.
Nicht von ungefähr wurde genau dort, in den Keyclub Recording Studios, in der Industriezone Michigans, „Hinterland“ produziert. Siebziger-Synthie-Konsolen von den legendären Sly & The Family Stone stehen dort laut Promotext noch herum. Dem Opener nach zu urteilen, wohl auch der ein oder andere Bass. Postindustrieller Pop-Appeal, der die Hinterländer Detroits und Manchesters atmet, könnte die Formel für LoneLadys zweites Album lauten. Die sparsamen, aber wirkungsvollen Klanglandschaften haben tatsächlich etwas postindustrielles; irgendwie ist diese Musik erstaunlich tiefgreifend, obwohl sie sehr einfach ist. Obwohl sie absichtlich ohne schweres Gerät auskommt, vermag sie im Endprodukt genauso zu wirken wie dick aufgetragener Rocksound voller Apparatschaften.
Die beiden Vorab-Singles, „Groove It Out“ und „Bunkerpop“, markieren gelungen das Territorium, geschmeidig beatlastiges Gitarren-Picking hier, Synthies der Joy-Division-Ära, die auf eine Funk-Funken versprühende Gitarre treffen. Untermischt mit Andächtigkeiten („Flee!“), auf denen sich Campbells Stimme der Rhythmusdominanz voranstellt, obsiegt doch immer wieder der Groove, das „funky guitar picking“, der treibende Beat auf „Hinterland“ („Silvering“, „Red Scrap“). Selbst Momente, in denen es beinahe in rockige Funkyness der frühen Red Hot Chili Peppers abdriftet, wie auf dem Titeltrack etwa, werden gekonnt mit erhabenen Streichern und einem polternden Beat gegengepolt.
Genau wie beim Debüt wächst die Musik von LoneLady mit jedem Hörgang. Gleichzeitig unaufgeregt, aber dennoch unwiderstehlich einnehmend zu sein, ist eine schöne Kunst. Dem zurückhaltenden Charme der LoneLady entsprechend, wird wohl auch das formidable Zweitwerk Campbells ein wenig unter dem Radar der Popbeobachtung grooven. Nichtsdestotrotz ist der „Nerve Up“-Nachfolger ein hinreißendes Post-Punk-Kleinod ergiebiger Couleur, einsam und weit, hügelig und warm.