Ich bin kein musikalisches Genie – The Go! Team im Interview

The Go! Team aus England sind immer gerade da, wo man sie nicht vermutet. Aus ihrem Sound spricht eine Fülle an Ideen, die nur schwer zu bändigen scheint. Mittendrin agiert Ian Parton als eine Art Dompteur im kreativen Chaos und versucht Herr über die vielen Strömungen zu werden, die sowohl im Studio als auch live in einem Schmelztiegel aus den unterschiedlichsten Einflüssen nebeneinander brodeln. Für das neue Album „The Scene Between“ griff Parton zu ein paar Tricks, um alles im Zaum zu halten. Er engagierte ihm unbekannte Gastsänger, ließ sich vorrangig von der Melodie leiten, variierte bei der Produktion von Song zu Song und betrachtete Samples als ein weiteres Instrument. Wir sprachen mit dem kreativen Kopf von The Go! Team in Berlin, um zu erfahren, ob seine Rechnung am Ende ganz nach seinen Wünschen aufging und erfuhren, welche mentale Bilder ihn während des Entstehungsprozesses begleiteten.

MusikBlog: Vorab dieses Gesprächs hast du erzählt, dass du die letzten vier Jahre  in einem Zustand der Unklarheit verbracht hast. Wie kam es dazu?

Ian Parton: Ich bin kein musikalisches Genie, das aus dem Nichts heraus ein Album macht. Ich muss hart dafür arbeiten und mich hinter eine Idee klemmen, damit am Ende etwas daraus wird. Ich habe vielleicht die nötige Begabung zu erkennen, wenn etwas gut ist. Ich bin keiner dieser Songwriter, die sich hinsetzen, weil sie eine Eingebung haben und diese dann bis zum Ende weiterverfolgen bis der Song fertig ist. So läuft das nicht bei mir. Alles entsteht in kleinen Bruchstücken, die ich nach und nach zusammenfüge. Wenn ich Musik mache, ist das immer ein langer Prozess.

MusikBlog: Würdest du das gerne ändern wollen?

Ian Parton: Manchmal, aber ich bin kein besonders guter Gitarrist, daran scheitert es schon einmal und die Dinge ziehen sich in die Länge. Dennoch liebe ich Melodien. Deswegen bin ich sehr daran interessiert alle möglichen Geräusche in meine Songs einzubauen, um daraus etwas zu schaffen. Nur so habe ich das Gefühl, innovativ und kreativ am besten tätig zu sein.

MusikBlog: Wer ist deiner Meinung nach ein Genie?

Ian Parton: Das ist eine gute Frage. Ich will mich gar nicht so sehr auf eine bestimmte Person festlegen. Für mich sind die größten musikalischen Genies oftmals Amateure, weil sie immer gerade nah genug an der Unvollkommenheit sind. Ich bevorzuge eher Klänge, die leicht verstimmt sind als einen reinen Sound. Jeder kann heute einen perfekten Klang erzielen. Da ist es mir wichtiger, wenn ich ein Stück höre, aus dem ganz viel Persönlichkeit spricht.

MusikBlog: Welche Art von Persönlichkeit spricht deiner Meinung nach aus deinen Songs?

Ian Parton: Es fällt mir schwer zu beurteilen, was genau an meiner Person auch in meinen Songs zum Ausdruck kommt, aber ich hoffe, ein Teil davon ist Unverfrorenheit, weil ich mich Klängen im Allgemeinen am liebsten so nähere. Es gibt so viel Musik da draussen, dass ich gar nicht anders kann, als es auf diese Weise anzugehen. Ich will nicht die Zeit fremder Leute vergeuden, indem ich genau das tue, was vielleicht von mir erwartet wird.

MusikBlog: Was hast du bei der Arbeit an „The Scene Between“ von dir selbst erwartet?

Ian Parton: Ich habe von mir erwartet, dass ich jedem Song auf dem Album das Recht gebe, wahrlich zu existieren. Und zwar nicht auf eine einfältige Art und Weise, sondern in einer Form, die wirklich Bestand hat. Ich bin fasziniert von Popsongs der 60er Jahre, die allein ihrer Melodie nach unwiderstehlich sind. Songs, die man auf einer Hochzeit spielt und bei denen sofort alle anfange zu tanzen. Es geht ein gewisser Reiz von Stücken aus, die auch nach viele Jahre nach ihrer Entstehung so eine Wirkung auf Menschen haben. Mich hat das Element der Zeitlosigkeit in der Musik schon immer fasziniert. Man hat als Songwriter keine Kontrolle über das, was mit einem Stück passiert, aber es ist dennoch ein interessanter Aspekt, wenn man sich mit Musik befasst.

MusikBlog: Ist der Albumtitel „The Scene Between“ Ausdruck der fehlenden Zugehörigkeit der Band innerhalb der verschiedenen musikalischen Bereiche, in die sie immer wieder vordringt?

Ian Parton: Als Band haben wir uns noch nie wirklich einer bestimmten Szene zugehörig gefühlt. Was bedeutet schon „Indie“? Das waren wir noch nie. Ich konnte auch nie etwas mit der Bezeichnung „Dance“ anfangen. In dieser Kategorie sehe ich uns ebenso wenig. Obwohl Hip-Hop-Einflüsse in unseren Songs spürbar sind, habe ich uns dennoch nie als Teil dieser Szene gesehen. So gesehen, beschreibt der Albumtitel wohl genau unser Empfinden, als Band nirgendwo wirklich dazuzugehören.

MusikBlog: Ist das eher ein Vor- oder Nachteil?

Ian Parton: Ich sehe es als Vorteil, dass wir als Band nicht einer bestimmten Szene zuzuordnen sind. Ich konnte dem Ganzen noch nie etwas abgewinnen, wenn alle teils krampfhaft versuchten, einer Strömung gerecht zu werden. Wir sind selbst nach so vielen Jahren immer noch einzigartig, wenn ich uns so anschaue. Die Faszination der Menschen für Männer mit Gitarren scheint dabei aber ungebrochen zu sein. Genau davon haben wir uns versucht, zu distanzieren.

MusikBlog: Du hast einmal gesagt, dass du als Songwriter sehr von visuellen Eindrücken geprägt bist. Wie sahen diese für das neue Album aus?

Ian Parton: Mir schwebten bei der Arbeit an den Songs ganz verschiedene Dinge vor. Ich mochte zum Beispiel die Vorstellung einer wabbeligen Masse, die nur schwer greifbar ist. Ebenso wie das Bild von diesen riesigen, alten TV-Geräten in amerikanischen Haushalten oder aber auch die Farbe Pink. Ich kann nicht einmal sagen warum, aber all diese Sachen beschäftigten mich bei der Entstehung des Albums. Immer wenn ich Songs schreibe, verbinde ich diese automatisch mit bestimmten Farben. Ich liebe die Idee, dass Songs auf diese Art ganze Bilder vor dem inneren Auge entstehen lassen können. Dennoch empfinde ich das neue Album für unsere Verhältnisse als relativ gemäßigt, was das angeht. Meiner Meinung nach zerren einen die Lieder nicht alle paar Sekunden in eine andere Richtung oder vermitteln dir ein völlig neues Bild. „The Scene Between“ ist seiner Bildsprache nach kohärenter als seine Vorgänger. Es ist ausserdem lärmend-poppig.

MusikBlog: Nach aussen hin habt ihr als Band den Ruf weg, dem Sound nach ziemlich unberechenbar zu sein. Lässt dich das befreiter an neuen Songs arbeiten?

Ian Parton: Das stimmt. Ich bekomme oft zu hören, dass man unseren Sound nicht wirklich einordnen kann. Die Leute scheinen immer ein wenig überrascht von dem zu sein, was wir machen. Also haben sie sich mittlerweile darauf eingestellt, klanglich so ziemlich alles von uns zu hören zu bekommen. Wir sind stets die Band, die in einem Moment Trompeten auspackt und im nächsten wild herumschreit. Diese offene Erwartungshaltung hat mir bei diesem Album dabei geholfen, mich nicht selbst unter Druck zu setzen.

MusikBlog: „Gaffa Tape Bikini“ gehört zu dieser Art von Songs, die man wohl kaum erwarten kann, aber dennoch ein Teil des Albums geworden ist.

Ian Parton: (lacht) Ja, das kann man wohl sagen. Der Song ist ungefähr schon zwanzig Jahre alt. Er ist entstanden, als ich auf einem dieser 80s Keyboards mit Mikrofon herumspielte. Danach habe ich zwei Jahrzehnte damit verbracht, die entstandenen Klänge immer mehr zu verzerren, bis am Ende das rauskam, was man nun auf dem Album hören kann.

MusikBlog: Wie hält man es zwanzig Jahre lang aus, an einer Songidee zu arbeiten?

Ian Parton: Ich mochte einfach den ursprünglich erzeugten Sound und konnte nicht von ihm lassen. Also habe ich immer mal wieder versucht, ihn so zu verformen, dass er am Ende zu einem Song wurde. Ich mag Zwischenspiele wie diese sehr, wenn ich ein Album höre. Dafür war das Stück perfekt. Aber um auf deine Frage zurückzukommen, man braucht vor allem viel Geduld und eine lange Aufmerksamkeitsspanne, um eine Idee wie diese über einen so großen Zeitraum zu verfolgen.

MusikBlog: Für „The Scene Between“ hast du mit allerhand Sängern zusammengearbeitet, die dir weitestgehend unbekannt waren. Was war der Grund dafür und wie bist du unter diesem Vorsatz überhaupt auf sie aufmerksam geworden?

Ian Parton: Wenn man ein Album mit Gastsängern macht, geht es Künstlern oftmals darum, besonders große Namen für die jeweiligen Songs zu verpflichten. Ich wollte genau das Gegenteil davon machen. Mir geht es nicht darum, durch bekannte Sänger mein eigenes Profil als Musiker zu polieren, sondern darum, coole Stimmen für meine Songs zu finden. Stimmen, mit denen ich mich selbst identifizieren kann. Gleichzeitig wirkt es am Ende nicht so, als wären so viele verschiedene Sänger involviert gewesen, da alle Stimmen und Songs gut miteinander harmonieren, ohne explizit darauf aus zu sein.

MusikBlog: Wie ist dir das gelungen?

Ian Parton: Das frage ich mich manchmal auch! (lacht) Meistens lief es so ab, dass ich die Songs an die jeweiligen Sänger schickte, weil ich glaubte, dass sie die richtigen dafür wären. Vieles ist allein über E-Mails zustande gekommen. Nur beim afrikanischen Gospelchor ließ sich das schlecht in die Tat umsetzen und ich bin direkt zur Kirche hin, um den Chor vor Ort aufzunehmen. Ich habe Spaß daran, die Dinge innerhalb des kreativen Prozesses zu forcieren. The Go! Team haben schon immer Sachen zusammengeführt, die unter normalen Umständen vielleicht nicht zusammenpassen würden. Das fängt schon bei der Besetzung der Band an und setzt sich auch bei den Gastsängern fort. Es ist eine schöne Herausforderung, mit Leuten zusammenzuarbeiten, mit denen man womöglich sonst nie in Berührung kommen würde.

MusikBlog: Du bist die einzige kreative Antriebskraft hinter der Band – wie gehst du mit dieser Verantwortung und den Begleiterscheinungen all dessen um?

Ian Parton: Manchmal ist es nicht so einfach, alles unter einen Hut zu bekommen, aber ich mache mich selbst nicht verrückt, egal welche Aufgaben es zu erledigen gibt. Seien es die rein kreativen Prozesse oder all die Dinge, die sich drum herum abspielen. Ganz ehrlich, es gibt Leute da draussen, die müssen richtigen Jobs nachgehen, da bin ich in meiner Position doch fein raus. (lacht)

MusikBlog: Reizt es dich als Musiker, auch einmal anonymer tätig zu sein, zum Beispiel als Auftragsschreiber für andere Bands?

Ian Parton: Das interessiert mich tatsächlich schon etwas länger. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit einmal einen Song für eine japanische Girl-Group geschrieben. Mittlerweile füllt die Band in Japan ganze Stadien. Ich habe mir einen Auftritt von ihnen angesehen. Es war verrückt, dass so viele Menschen diesen Song kannten und ausgeflippt sind. Sie sind nicht deswegen so bekannt geworden, aber es war trotzdem schön, diese Reaktion zu sehen. Die Anfrage einen Song für sie zu schreiben, kam aus dem Blauen heraus.

MusikBlog: Passiert dir das öfter?

Ian Parton: Nein, nicht wirklich, obwohl ich der Idee sehr offen gegenüberstehe, mehr aus dem Hintergrund heraus zu agieren und für andere Künstler zu schreiben. Gerade im Pop-Bereich. Ich hätte aber auch nichts dagegen, eine völlig Kehrtwendung hinzulegen und etwas für mich völlig Neues auszuprobieren. So lange ich mich in ein Projekt hineinversetzen kann, bin ich in der Lage, so einiges zu machen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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