Kurz gesagt: The Pop Group haben fast 35 Jahre nach ihrem letzten Album „For How Much Longer Do We Tolerate Mass Murder?“ mit „Citizen Zombie“ tatsächlich eine neue Platte gemacht! Und sie ist ziemlich gut.
Aber der Reihe nach: The Pop Group existierte zwischen 1977 und 1981. In dieser Zeit veröffentlichten sie zwei Alben und mehrere Singles. Im Lauf der Jahrzehnte wurden sie von anderen Bands und Musikern immer wieder als Einfluss genannt. Die Liste derer, die sich zur Band bekannt haben, ist lang und umfasst dabei Namen wie Nick Cave und St. Vincent.
Mit Bands wie Gang Of Four, Public Image LTD, This Heat und Joy Division zählt das Quintett aus Bristol zu den Bands, für die der inzwischen etwas überstrapazierte Begriff Post-Punk ursprünglich erfunden wurde. Also Bands, die nach der ersten ungestümen Welle der Endsiebziger feststellten, dass Punk sich nicht nur auf das energetische Runterbrettern von drei Akkorden beschränken musste, sondern auch eine Freikarte für Experimente in alle Richtungen sein konnte. Erlaubt war im Prinzip alles. Kommerz war eh schlecht und damit absolut egal. The Pop Group münzten dies in einen schroff-sperrigen Mix aus Funk, Dub, Free Jazz, Punk, Disco etc. um. Der Groove war dabei immer mit an Bord. In Verbindung mit Mark Stewarts bissigen, politischen Texten entstanden so kleine Musikbomben, die auch nach so langer Zeit ihre Haltbarkeit nicht überschritten haben und immer noch zünden.
Soweit das Damals – und schwupp ins Heute: Das neue Album warf schon länger seinen Schatten voraus. Denn schon 2010 hatte sich The Pop Group wieder zusammengefunden und vereinzelt Live-Shows gespielt. Zwar nur noch als Quartett, aber dafür alles mit Original-Mitgliedern. Auch ein Album wurde angegangen, aber bisher nicht veröffentlicht.
Eine nostalgische mittfünfziger Herrenrunde a la „Ah, die Kinder sind jetzt aus dem Haus. Was mach‘ jetzt?“ Oder: „Hm, nach der dritten Scheidung, sollte ich meinem Leben mal wieder einen neuen Impuls geben. Ach lass mal wieder die Band machen!“, war mit der Band-Reunion definitiv nicht beabsichtigt. Komplett raus aus dem Musikgeschehen waren die Pop Group Mitglieder sowieso eigentlich auch nie. Mark Stewart, Sänger, Gitarrist und Kopf der Band, veröffentlichte über die Jahre immer wieder Solo-Alben und tauchte als Gastmusiker und Produzent auf Platten von Bands wie Nine Inch Nails, Massive Attack und Primal Scream auf. Und auch der Rest Band war immer in diversen Projekten aktiv.
Auch die Produzentenwahl unterstreicht, dass man es mit „Citizen Zombie“ ernst meint. Denn mit Paul Epworth konnten sie einen der im Moment absolut angesagten Top-Produzenten an Land ziehen. Seinen Namen kann man unter anderem auf Alben von Adele, U2, Paul McCartney, Lana del Rey und Coldplay finden. Ihn zu bekommen, dürfte allerdings auch nicht ganz so schwer gewesen sein, denn Epworth ist bekennender Pop Group-Fan.
Aufgenommen wurde „Citizen Zombie“ über zwei Jahre in wechselnden Studios. Und die frische Energie des Albums lässt keinen Zweifel daran, dass The Pop Group immer noch jede Menge musikalischer Intensität in den Knochen haben. Gut, die oft radikal-provokante Zerschredertheit der alten Stücke ist zwar nicht mehr ganz so harsch wie früher. Aber das bedeutet nicht, dass sie gar nicht mehr vorhanden ist oder durch das Alter gezähmt wurde. Garantiert nicht. Nur kommt sie jetzt irgendwie – hm, na ja – eleganter rüber. Die Erfahrung, die ihnen jahrzehntelanges Musikmachen inzwischen in die Hände gegeben hat, lässt sich halt nicht verstecken. Und zu versuchen, mit ihren jüngeren Ichs konkurrieren zu wollen, dürfte sowieso unsinnig sein.
In Refrains von Stücken wie “Nowhere Girl” und “s.o.p.h.i.a.” machen The Pop Group auch klar, dass sie inzwischen keine Angst davor haben, das „Pop“ in ihrem Namen nicht mehr nur ironisch zu sehen. Mit „Mad Truth“ gelingt ihnen sogar ein grooviger, original Achtziger Jahre Indie-Popsong. Überhaupt kokettieren The Pop Group auf „Citizen Zombie“ immer wieder mal mit den Achtzigern. Gelegentliche Slapbässe, manche Keyboardsounds, Gitarrenlicks, Harmoniefolgen etc. Das geschieht aber nicht aus purer Nostalgie, sondern wird stimmig in die Jetztzeit transformiert. Und davon abgesehen: Warum sollten sie auch nicht? Es gibt nicht wenige, wesentlich jüngere Bands, die ihre Karrieren daraus stricken, in dem sie sich recht großzügig aus dem Musikfundus der Achtziger bedienen. So gesehen haben The Pop Group die Zeichen der momentanen Hipness schon richtig erkannt.
Dass ihre Fähigkeiten in Sachen Groove immer noch intakt sind, zeigt wiederum die schräge Funkyness von “Shadow Child“. Mit dem dubbigen „Age of Miracles“ und dem atmosphärischen „Echelon“ finden sich am Ende des kurzweiligen Albums zwei absolute Höhepunkte, die belegen, dass die Band auch 2015 noch einiges zu sagen hat und sich mit „Citizen Zombie“ nicht auf ihrem Legendenstatus ausruht. “Citizen Zombies” steht damit ziemlich gut neben den Klassikern „Y“ und „For How Much Longer Do We Tolerate Mass Murder?“.
Auch textlich ist alles noch beim Alten. “Capitalism is the most barbaric of all religions” heißt es auf ihrer 1979er Single “We Are All Prostitutes”. Diese Weltsicht hat sich bei Mark Stewart grundsätzlich nicht geändert. Auf „Citizen Zombie“ zeigt er, dass er immer noch ein sehr guter Kommentator des alltäglichen Wahnsinns im Kapitalismus ist. “Let’s face it, things are probably even more fucked now than they were in the early 80’s…..and we are even more fucked off!” gab Mark Stewart als einen der Gründe für die Reunion an. Und um herauszufinden, dass Bands wie The Pop Group immer noch relevant und wichtig sind, genügt schon der tägliche Blick auf eine Nachrichtenseite der eigenen Wahl. Und eigentlich ist schon etwas beschämend, dass sich viele junge Bands oft nur in der Bespiegelung ihres eigenen Hedonismus verlieren und nicht mal wieder radikal versuchen, Wände einzureißen. Was hindert sie eigentlich?