Herzlich willkommen im Crush Palace. Dem Ort, der für einen Abend lang so etwas wie ein Auffangslager all jener wurde, die sich ein bisschen Linderung für ihre geschundenen Herzen wünschten. Oder den Engtanz proben wollten. Wahlweise auch beides zusammen. Da konnte es doch kein Zufall sein, dass der rot erleuchtete Heimathafen Neukölln genau in der Farbe der Liebe erstrahlte und die Lampen an der Stuckdecke für zusätzlichen romantischen Flair sorgten, so dass das Gefühl von Verliebtheit schon vor Beginn der Show in der Luft lag.
Eine Karen O, die die meiste Zeit ihres Künstlerdaseins über als Frontfrau der Yeah Yeah Yeahs im Krawall-Modus unterwegs ist, kann eben viel mehr als nur laut zu sein. Das demonstrierte sie großzügig in dekadent-kuscheliger Atmosphäre im Rahmen des Electronic Beats Festivals und öffnete sich dem mucksmäuschen stillen Publikum so weit, dass ihre Fähigkeiten als Schmusekätzchen zum Vorschein kamen. Die gewohnten, vokalen Attacken mit ausgefahrenen Krallen blieben dagegen samt der für gewöhnlich schrillen, bunten Bühnenklamotten in der Kiste.
Dem Anlass entsprechend, hatte sich Karen O so richtig herausgeputzt und wirkte in ihrer gold-schwarzen, bodenlangen Robe nicht nur sehr elegant, sondern auch unheimlich grazil, wenn nicht sogar fast schon etwas fragil. Den komfortablen Rock-Chic-Look gegen den Glamour-Faktor eingetauscht, verharrte die Sängerin die meiste Zeit des Konzerts über mit dem Mikrofonkabel lässig in der Hand in der Mitte der Bühne, während sie ganz in sich ruhend die Augen über weite Strecken geschlossen hielt. Wie ein Goldkehlchen, das mit einer Reihe intimer, Schmerz erfüllter Songs aus seinem goldenen Käfig heraus die vor sich liegende Stille durchbrach.
Diese ist für jeden Künstler eine der größten zu überwindenden Hürden auf der Bühne und gerade deswegen so gefürchtet, weil sie oftmals mit einem unangenehmen Beigeschmack daherkommt. Im Fall des hohen Besuchs aus New York mussten allerdings keine unnötigen Momente der Stille befürchtet werden, die sich ins Bewusstsein bohren könnten. Beinahe andächtig verfolgte das anwesende Publikum das Geschehen auf der Bühne, das mit insgesamt nur sehr wenigen Mitteln auskam. Mit Moses Sumney sowie Holly Miranda standen Karen O im Heimathafen einzig und allein zwei weitere Musiker an der Gitarre zur Verfügung. Ersterer hatte bereits solo das Vorprogramm bestritten.
Es sollte das letzte Konzert der gesamten Tour sein, wie Karen O den Zuschauern in einer ihrer wenigen Ansagen mitteilte. Auch wenn in diesen Worten ein wenig Wehmut mitklang, schien sie immerhin darüber erfreut zu sein, dass diese in ihrem „Berrrrlin!“ stattfand, in dem sie die Aufmerksamkeitsspanne der Fans niemals überstrapazierte und eine Songepisode an die nächste reihte. Was die Sängerin zu sagen hatte, war in jeweils recht kurzen Songs verpackt, die ihre Wirkung trotz der vergleichsweise simplen Arrangements niemals verfehlten und Karen O dazu verleiteten, das Mikro leidenschaftlich an die Brust zu drücken oder mit beiden Händen zu umklammern.
Bei „King“ erwies sie dem verstorbenen Michael Jackson samt übergestülptem, silbernen Glitzerhandschuh die Ehre, während das zauberhafte „Body“ einen Hauch von Leichtigkeit in das Set zurückbrachte, bei dem Karen O auch schon einmal verschmitzt in sich hinein lächeln musste. Wie praktisch, dass sich im Publikum auch einige bekannte Gesichter verbargen, die als Joker eingesetzt wurden. So bat Karen O kurzerhand ihre anwesende Kollegin Peaches auf die Bühne, die bei „Day Go By“ tatkräftig das Tamburin schüttelte und vor dem im Hintergrund aufgestellten Blumenbouquet freudig ihren Platz einnahm. Eigentlich eine explosive Ergänzung mit hohem Radau-Faktor, der sich bei diesem Song allerdings eher im Bereich „handzahm“ bewegte.
Zwei Cover-Versionen schummelten sich an diesem Abend ins Set, das mit dem The Doors Song „Indian Summer“ sowie Radioheads „High And Dry“ abgerundet wurde, bevor die Show mit „The Moon Song“, dem Oscar nominierten Stück aus dem Film „Her“ schließlich ihr Ende fand. Die Barhocker auf der Bühne einsam zurückgelassen und das auf die Bühne projizierte „Crush Palace“ Zeichen in Neon-Optik still über allem trohnend. Ein paar Luftküsse zum Abschied und weg war die goldene, funkelnde Göttin des Abends und mit ihr auch ein wenig des eben noch gefühlten Zaubers. Karen O im Schongang, aber ohne sentimental-verliebten Weichspülcharakter. Da gingen hinterher selbst gestandenen Männern langgezogene Beschreibungen wie „War das schöööön!“ über die Lippen bevor sich die Wege trennten und der „Crush Palace“ nur noch in Gedanken weiter existierte.