Die Begeisterungswelle, die alt-J vor zwei Jahren mit ihrem Debütalbum „An Awesome Wave“ lostraten, glich ihrem Albumtitel wie die Faust auf’s Auge. Den renommierten Mercury Prize in ihrer englischen Heimat sackten sie obendrein ein und katapultierten sich binnen weniger Monate in die vorderste Reihe des Alternative-Pop. Während die Presse sich noch mit Lob überschlug, zogen bereits ganze Fanscharen zu ihren Konzerten und verhalfen der Band sogar in Übersee zu einem beachtlichen Erfolg.

Jetzt, wo uns der Herbst unverfroren packt, legt die nach dem Ausstieg von Gwil Sainsbury zum Trio geschrumpfte Band nach. „This Is All Yours“ heisst der Nachfolger, den die Fans gerade einmal ein paar Tage durch die Gehörgänge gejagt haben dürften, bevor am Mittwoch Abend ein paar wenige das Glück hatten, das neue Material samt Band live und exklusiv im Berliner Lido in Augenschein zu nehmen. Eine richtige Tour in großen Hallen folgt erst im kommenden Februar. Die doch sehr intime Atmosphäre im Lido trieb verzweifelte Fans gar dazu vor dem Club mit Schildern auszuharren, auf denen um eines der begehrten Tickets gebeten wurde, die nur über Gewinnspiele vergeben wurden.

Im Inneren des Lidos war dagegen keine Spur von Verzweiflung zu finden. Vielmehr herrschte eine entspannte Vorfreude auf eine gute Dosis all dessen, was alt-J in den letzten zwei Jahren zu einer der wichtigsten Bands der Stunde hat werden lassen. Und davon präsentierten die Engländer dem Publikum, ganz dem Motto ihres neuen Albums „This Is All Yours“, gleich einen Rundumschlag des eigenen Werks, das der eine oder andere Fan schon einmal ganz bewegt mit der Hand auf dem Herzen glücklich in sich aufnahm. Die Band, hingegen, wirkte wie ein einziger Ruhepol, der oftmals sehr nah bei sich selbst wirkte, ohne jedoch das Publikum musikalisch auf Distanz zu halten.

Während Sänger Joe Newman, in schwarz-neongelben Socken mit Hanf-Motiv oft auf Zehenspitzen stehend, die Intensität jedes Songs mit seinem Gesang nach Belieben anschwellen oder kurzzeitig abebben ließ, war Keyboarder Gus Unger-Hamilton für die wenigen Ansagen im Laufe des Konzerts verantwortlich, in denen er sich auch erfreut über den Einstieg in die Top 8 „irgendwelcher“ Charts  hierzulande zeigte. Der heiterste Moment des Abends entsprang dem etwas verkorksten stimmlichen Zusammenfinden von Newman und Unger-Hamilton, die beim Song „Interlude I (The Ripe & Ruin)“ mitten im A cappella-Gesang von einem Lachanfall geschüttelt wurden.

Das war allerdings nur ein minimalistischer Fauxpas inmitten einer fast schon perfekt anmutenden Show, die trotz der vielen musikalischen Facetten der Band und der aufblitzenden Komplexität der Songs nicht im Geringsten ihren roten Faden verlor. Schnell wird deutlich, dass die anwesenden Fans auch die neuen Songs begeistert und vor allem textsicher aufnehmen, wie zum Beispiel „Every Other Freckle“ oder „Left Hand Free“ oder dem Opener des Konzerts „Hunger Of The Pine“, die dem älteren Songmaterial in nichts nachstanden.

Es ist viel, was alt-J einem da insgesamt gesehen über knapp 75 Minuten anbieten. In sich verschlungene Kompositionen gleich neben eindringlichen Grooves und spielerischen Finten, die höchste Konzentration von der Band erfordern und darüber dennoch nicht den Zuhörer vergessen, der sich aus der ihm präsentierten Vielfalt großzügig bedienen kann. Irgendwie schafft das englische Trio zwischen alldem eine Brücke zu schlagen, ohne dass ein intensiver Zugang zur Musik und damit auch zur Show nur Musik-Nerds vorbehalten bleibt.

Das Zugabenset wird vom Bill Withers Cover „Lovely Day“ eingeleitet, auf das mit „Nara“, „Leaving Nara“ und dem abschließenden „Breezeblocks“ drei weitere Songs folgen. Letzterer wird von den Fans ganz besonders euphorisch und laut mitgesungen. Schließlich ist die darin enthaltene Zeile „Please don’t go, I love you so, I love you so“ gleichermaßen Ausdruck für den Wunsch der Fans doch noch ein wenig bei ihnen zu bleiben. Den Abschied konnte man der Band dann aber doch nicht übelnehmen. Glücklicherweise sind es nur ein paar Monate bis die Live-Fortsetzung folgt und auch Nicht-Gewinner in den Genuss kommen werden sich ihren Anteil vom „This Is All Yours“ Angebot zu schnappen.

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