Es ist Samstag. Fitter als erwartet begebe ich mich zurück zum Gelände des Dockville-Festivals. Etwas verschlafen liegt die Wiese beim Auftritt von Pale Honey, die die Hauptbühne am Samstag einweihen, noch da. Es regnet und es ist ungemütlich. Die Schweden lassen sich davon nicht beeindrucken. Immerhin ist es ihr erster Auftritt in Deutschland, wie sie selbst sagen, und den ziehen sie durch. Als Garage Rock-Band ist man eben cool und weiß das zu präsentieren.
Im Nest, das gestern noch als Hort der elektronischen Zappelei diente, hat man sich zur intimen Talkrunde eingefunden. Neben Neonschwarz und ClickClickDecker stehen zwei Moderatorinnen von ByteFM vor einer Handvoll Zuschauern Rede und Antwort. Auf der Vorschot ist hingegen schon Hochbetrieb – zumindest musikalisch. Auch hier ist das Publikum noch überschaubar, aber Xul Zolar beglücken die, die gekommen sind, mit einer atmosphärischen Mischung aus Indie und Math Rock.
Im Maschinenraum performen Lucius derweil eine ausgeklügelte Show. Zwei Herren teilen sich die Arbeit an den Drums, zwei Damen singen und sehen aus wie ein doppelter Klon von Sia. Heraus kommt 60er-Rock, der allerdings stellenweise etwas zu schrill ausfällt, weswegen ich an die Klüse gehe, wo Talul deepen Elektro zum Besten gibt. Schade, dass es noch so früh ist, denn er hätte definitiv ein paar Ohren mehr verdient.
Voller ist es da schon bei Megaloh, dem ersten großen HipHop-Act in diesem Jahr. Minutenlang lässt er das Publikum den Chorus zu „Dr. Cooper“ mitrappen. Auch im Butterland wird mit Worten jongliert. Hier wird die Vorrunde des Poetry Slams ausgetragen. Es geht unter anderem um die Sinnlosigkeit von Strategiespielen à la Risiko. Ich fühle mich angesprochen.
Young Dreams, eine junge Indie Pop-Band aus Bergen, lockt währenddessen die Sonne hervor. Auch die Stimmung im Publikum steigt bei gut gelaunten Tracks wie „Dream Alone, Wake Together“.
Die großen Rockgesten bemüht Thurston Moore auf der Großschot. Ausufernde Rockstücke mit intensiven Gitarrensoli gehören zu seinem Repertoire. Stellenweise spielt er sich regelrecht in einen Rausch. Die Zuschauer betrachten die Performance kritisch. Während einige begeistert stehen bleiben, huschen andere schnell von dannen. Auf Moore folgen I Heart Sharks, bei denen die Begeisterung sogleich größer ist. Sie selbst sind auch ein bisschen gerührt. Letztes Mal seien sie noch als Besucher angereist, erzählt Sänger Pierre Bee. Jetzt also schon auf der Hauptbühne. So schnell kann es gehen.
Feine Sahne Fischfilet nutzen ihren Auftritt, um auf politische Missstände (Stichwort NSU) hinzuweisen und feiern mit der Menge eine große Punksause. Besonders gut kommt „Geschichten aus Jarmen“ an, das Jan Gorkow seiner Mutter widmet, die laut eigener Aussage cooler als alle Mütter der Zuschauer zusammen sei. Die Fans feiern ihn trotzdem.
Eine ganz große Nummer am Rockhimmel sind derzeit Warpaint. Dementsprechend heizen sie den Leuten vor der Hauptbühne ganz schön ein. Die direkt auf die Band aus L.A. folgenden Kakkmaddafakka setzen das Spektakel fort. Die Gruppe mit dem merkwürdigen Namen ist bekannt für ihre kuriosen Live-Auftritte und davon kann ich mich heute selbst überzeuen. Die Musik ist allerdings umgänglich. „Your Girl“, „Touching“ und Konsorten sind eher schöne Indie-Tracks denn Rebellensongs.
Zu einer Besonderheit ganz unfreiwilliger Natur kommt es bei dem Auftritt von Dillon. Die Technik hat sich vollends verabschiedet, sodass sie gezwungen ist ein Klavierkonzert zu geben. Sie entschuldigt sich mehrfach und scheint dabei gar nicht zu merken, wie wunderbar ihre Darbietung ist. Obwohl ihr Konzert deswegen kürzer ausfällt als geplant, wird sie vom Publikum frenetisch gefeiert.
Auch Milky Chance werden herzlich empfangen. Ich kenne nur ihre Radiohits „Stolen Dance“ und „Flashed Junk Mind“ und fühle mich dennoch gleich ganz vertraut mit ihrer Musik. Irgendwo zwischen Bob Marley, den Eels und einer Prise Pop haben sie es sich gemütlich gemacht und wissen damit zu überzeugen.
Es folgt die Band, auf die ich besonders gespannt war. Gegen 23 Uhr ist es Zeit für Die Antwoord und es wird zwar nicht so abgedreht, wie man es hätte erwarten können, aber dennoch ganz schön schräg. So massiv wie jetzt kamen die Scheinwerfer noch nicht zum Einsatz. Manche Besucher staunen mit offenem Mund über den abgedrehten Pitbull und das kleine Mädchen auf der Bühne. Ich auch. Während Die Antwoord auf Albumlänge schon mal anstrengend sein kann, sind sie live vor allem fesselnd.
Das gilt auch für Hundreds – hier allerdings aus ganz anderen Gründen. Das Geschwisterpaar steht schließlich nicht für trashigen Rap, sondern für gefühlvollen Pop mit elektronischen, post-rockesken und tausenden weiteren Einflüssen. Eva Milners Stimme verzaubert live noch mehr als auf dem Plattenspieler. Nach Mitternacht entlässt sie die Menschen, die sich nun erneut zuhauf bei den Hot Spots des Elektro tummeln. Vor allem bei Shlohmo im Maschinenraum wird es voll. Ich begebe mich in mein Bett, denn der Tag war lang.
Der letzte Festivaltag beginnt gemächlich. Das Wochenende steckt vielen spürbar in den Knochen. Umso besser, dass der erste Tagespunkt das Poetry Slam-Finale ist, bei dem man sich entspannt hinfläzen und lauschen kann. Heute geht es bei Andy Strauß unter anderem um die Blumen ableckende Bärbel, die von einem Eichhörnchenmann geköpft wird. Das Rennen macht am Ende allerdings David Friedrich mit einem Text über Fernweh und wie man doch immer wieder in der Schlange an der Tankstellenkasse endet.
Zwischen zwei Auftritten nutze ich die Zeit und erkunde die Kunstwerke, die überall auf dem Gelände verstreut ausgestellt werden. An einer Stelle ragen bunte Stangen sonnenartig aus dem Boden und erinnern mich an den eisernen Thron in Game Of Thrones. Nur in Hippieversion. Neben der Freihandelszone steht ein kleiner Raum, in dem Ausstellungen, Metal-Konzerte und Messen abgehalten werden. Und gegenüber erspähe ich eine wippende Konstruktion aus Fahrradteilen.
Zurück vor der Hauptbühne läutet Olson derweil den Hip-Hop-Teil des Festivals ein. Konstant lässt er seine Fans Choreographien mit den Händen vollführen. Das hat fast etwas von einem Aerobickurs. Bewegungsärmer geht es hingegen bei Carlos Cipa zu. Bei strömendem Regen bietet der Pianist Stücke seines ersten Albums und Improvisationen dar. Unter meinem Regenschirm verkrochen freue ich mich, dass auch solche Künstler auf dem Dockville ihren Raum bekommen.
Natürlich hat aber auch der Sonntag ein paar ganz große Namen zu bieten. Mac DeMarco zum Beispiel. Der räumt den Preis des liebenswürdigsten Covers des Wochenendes ab, weil er „Yellow“ von Coldplay so anrührend interpretiert wie es nur geht.
Die Glass Animals legen kurz darauf den besten Auftritt des Festivals hin. Nicht nur, weil sie wunderbare Musik machen, sondern weil sie diese auch noch grandios auf die Bühne bringen. Von der ersten bis zur letzten Minute stehe ich gefesselt vor der Bühne und muss mich am Ende sputen, um nicht allzu viel von den Wild Beasts zu verpassen, die gleichzeitig spielen (und eine ebenfalls großartige Show bieten, wie sich herausstellt).
Mittlerweile regnet es ununterbrochen. Die Fans von Alligatoah stört das nicht. Er selbst steigt während des Auftritts unter eine Dusche. Das nennt man wohl Solidarität. „Willst du“ und „Fick ihn doch“ knacken an diesem Wochenende den Rekord für die am lautesten mitgesungenen Songs. Das hat man bestimmt noch in Altona gehört.
Auf jeden Fall übertönt es stellenweise den Auftritt von Chet Faker, was zu einer ganz eigenartigen Mischung aus australischem Electronica und deutschem Rap führt. Puren HipHop gibt es danach wieder in Form von Samy Deluxe, der trotz schwachem letzten Album zeigt, dass er immer noch zu den besten MCs in Deutschland zählt. Er performt nicht einfach nur seine Texte, sondern freestylet zwischendurch immer wieder.
Meine letzte Station ist Ólafur Arnalds, der heute von einem Orchester unterstützt wird. Seine düstere Melange aus Elektro und Klassik passt perfekt zum stürmischen Wetter und beim Blick auf den im Dunkeln liegenden Rethe-Speicher kommt mir fast ein bisschen das Schaudern.
Schon ist das Wochenende vorbei. Es geht zurück zu den Shuttlebussen und wer bis jetzt noch keine neuen Freundschaften auf dem Dockville schließen konnte, hat nun dazu die Chance, denn jeder Bus ist so voll wie eine japanische U-Bahn. Die perfekte Gelegenheit um mit anderen Revue passieren zu lassen, was man alles erlebt hat. Und alle sind sich einig: Das war eine schöne, runde Sache, die in Erinnerung bleiben wird.